Alina Bazen und Sven Goller im Interview über Changing Perspectives

„Es gibt genug Leute in der Branche, die sich nicht angemessen verhalten.“

Elf Gastschichten, elfmal „Changing Perspectives“: Alina Bazen und Sven Goller haben im letzten Jahr Bartenderinnen nach Bamberg geladen. Im Interview sprechen sie über gelungene Abende, intensiven Austausch so wie den Frust darüber, wie viel in der Barbranche weiterhin unter den Teppich gekehrt wird.

Es bleibt ein Problem: Ständig sollte man über Singapur und Mexico City berichten, aber schon schnippst Bamberg wieder nervig mit dem Finger und will drangenommen werden. Bamberg, der Streber unter den deutschen Mittelstädten, hat schon wieder vor den anderen verzogenen Bälgern die richtige Antwort gefunden. Na dann. Singapur kann warten.

Von Vorteil ist, dass Bamberg, vor allem in Gestalt des Schwarzen Schafs, im Gegensatz zu Thorben-Noëll aus der Förderklasse des musischen Zweigs der DJ-Bobo-Gesamtschule Brösingen-Stoppelsdorf, darüber nachdenkt, bevor es seine Antworten durch den Klassenraum plärrt. Wobei es von Vorneherein eher um die Fragen geht als um die Antworten. Um Sichtweisen. Um Blickwinkel.

Weshalb man im vergangenen Jahr mit „Changing Perspectives“ ein Programm aufgelegt hat, das so naheliegend wie nötig ist, dass man sich fragt, weshalb vorher noch keiner drauf gekommen ist. Über ein ganzes Jahr hinweg bot Changing Perspectives Bartenderinnen eine Plattform, sich zu präsentieren – jeden Monat eine andere Bar und andere Frauen. Wer also einen Perspektivwechsel nötig hat, der blicke auf Bamberg. Alina Bazen und Sven Goller ziehen im Interview ein Resümee: über einiges, das sich in der Barbranche zum Positiven verändert hat, und vieles, das sich noch verändern muss.

MIXOLOGY: Liebe Alina, lieber Sven: Changing Perspectives war wohl ein ziemlicher Erfolg, oder?

Sven Goller: Würde ich schon sagen. Für uns war es jedenfalls ein Erfolg, und ich glaube, alle, die teilgenommen haben, waren ganz glücklich, dass sie bei uns waren.

MIXOLOGY: Glaubt man sofort; Menschen sind ja offenbar immer wieder ganz gerne im Schwarzen Schaf. Wie kam es denn zu der Veranstaltungsreihe?

Sven Goller: Es gab eine Branchenveranstaltung in Berlin, wo auf eine für viele pseudolustige Art und Weise über Frauen geredet wurde, es wurde auch immer nur von „Barkeepern“ gesprochen. Roxy Helm hat dann, weil sie das gestört hat, eine Instagram-Story gemacht, die eine kleine Welle verursacht hat. Nach einer Woche war das aber wieder vorbei, und da habe ich mir gedacht, man könnte ja vielleicht was machen … Ich habe das dann mit den beiden Frauen in meinem Leben besprochen, mit meiner Partnerin und Alina, weil ich ja auch nicht der alte weiße Mann sein wollte, der für die Frauen redet. Die fanden das gut, also haben wir zu planen begonnen.

MIXOLOGY: Im Schwarzen Schaf arbeiten ohnehin recht viele Frauen.

Sven Goller: Ja, die Männer können auch nicht so gut arbeiten. Schau mich an. Von den acht Leuten im Team sind fünf Frauen.

Alina Bazen: Und die Männer sind dann vor allem im Service, die können auch nicht mixen (kichert.)

MIXOLOGY: Wie kam dann die Auswahl der Bars und Bartenderinnen für Changing Perspectives zustande?

Sven Goller:  Zuerst ging es um die, die wir persönlich kannten, und die auch Bock auf sowas hatten, weniger um große Namen. Zwei, drei sind auch tatsächlich von sich aus auf uns zugekommen und haben gesagt, dass sie auch gerne mitmachen würden. Und so hatten wir dann etliche coole Barfrauen, hauptsächlich aus Deutschland.

MIXOLOGY: Die Reaktionen waren auch einhellig positiv bis enthusiastisch, und schon ist das Schwarze Schaf wieder in aller Munde. Gut gemacht, Frau Bazen und Herr Goller, oder?

Sven Goller: Natürlich haben wir davon profitiert, aber uns ging es in erster Linie darum, einen Stein ins Rollen zu bringen. Die Frage ist dann, wie nachhaltig das ist. In dem Tempo war das auch nicht aufrechtzuerhalten, weshalb wir das auch etwas nach außen tragen wollen. Beim Bar Symposium gab es zum Beispiel eine Gastschicht.

MIXOLOGY: Es ist doch auch sehr viel Arbeit. Elf Bars waren das insgesamt, oder?

Sven Goller: Genau. Es ist halt auch nicht so leicht, das sponsoringtechnisch hinzubekommen. Aber klar, das hat auch uns viel gebracht. Man denkt sich eigentlich zuerst nur, warum das denn keiner macht – bis man es dann einfach selber macht. Alina ist bei sowas sofort dabei, und wenn dann Leute sagen: „Boah, voll die geile Idee“ – dann muss ich sagen, es war noch nicht mal meine Idee, sondern nur aufgebaut auf Dingen, die schon da waren, etwa Speedrack in den USA oder auch das, was auch Betty Kupsa oft macht. Ich weiß auch nicht, warum wir hier in Deutschland die einzigen waren, die auf diesen Zug mit aufgesprungen sind.

„Es wird immer noch viel unter den Teppich gekehrt, unter dem Motto: Stell dich nicht so an, das hat er bestimmt nicht so gemeint.“

Alina Bazen

MIXOLOGY: Alina, du wurdest letztes Jahr bei den Mixology Bar Awards als Newcomerin des Jahres ausgezeichnet, jetzt bist du auch bei diesem Projekt mit federführend. Du bist nicht jemand, den es zwingend ins Rampenlicht drängt, wogegen Männer oft wenig Scheu haben, ihre vermeintliche Großartigkeit zur Schau zu stellen. Gewöhnst du dich langsam an die Aufmerksamkeit, die jetzt zwangsläufig kommt?

Alina Bazen: Ich glaube, man wächst so langsam hinein, aber ich möchte mich selbst nicht zu wichtig nehmen. Ich mache Drinks für die Menschen in dem Laden und finde es schön, dass wir die Möglichkeit haben, solche Projekte zu verwirklichen. Aber wir haben jetzt auch nicht das Gefühl, dass wir die Barfrauen der Welt gerettet haben.

MIXOLOGY: Vielleicht muss das ja auch gar nicht der Anspruch sein. Aber ein paar Steinchen aus dem Bollwerk der Männerdominanz herauszubrechen ist ja auch schon was. Hast du denn das Gefühl, dass sich allgemein etwas ändert, was die Behandlung von Frauen im Beruf angeht? Jedenfalls gibt es mittlerweile deutlich mehr Frauen am Brett als früher.

Alina Bazen: Das definitiv. Dass wir so ein frauendominiertes Team sind, war auch keine Absicht, sondern hat sich einfach ergeben. Wenn bei der Bewerbung die Mädels mehr hergemacht haben als die Jungs, dann nimmt man natürlich die Person, von der man mehr überzeugt ist, und nicht, weil das ein Mann oder eine Frau ist.

MIXOLOGY: Idealerweise sollte das so laufen, ganz ohne Quote. Merkst du auch einen Paradigmenwechsel zum Thema, wenn du in anderen Städten und Bars unterwegs bist?

Alina Bazen: Entwicklungstechnisch muss man bedenken, dass ich aus der Kneipengastronomie komme und Cocktailbar erst seit drei Jahren mache. Im Vergleich dazu ist das ein Schlaraffenland. Daher fällt mir der Vergleich von vor zehn Jahren zu jetzt etwas schwer. Ich bin auch nicht mehr Anfang 20 und habe ein ganz anderes Auftreten. Prinzipiell glaube ich schon, dass sich das Bewusstsein zum Thema Frauen hinter der Bar ändert und auch immer mehr Frauen den Schritt hinter den Tresen wählen. Aber gleichzeitig sehe ich leider immer noch, wie vor allem junge Frauen gerne mal belächelt werden. 

Alina Bazen und Sven Goller vor dem Schwarzen Schaf in Bamberg

MIXOLOGY: Das sollte auch stärker thematisiert werden: Dass man als Frau nicht als Freiwild betrachtet werden darf, nur weil man kein grundsätzlich wehrhaftes Auftreten hat.

Alina Bazen: Ja, natürlich nicht! Das ist auch eine schwierige Gratwanderung als Frau. Aber ich weiß auch, dass es nicht selbstverständlich ist, einen Chef wie Sven hinter mir zu haben, der meine Entscheidung zu dem Thema nie hinterfragt. Ich lege meine eigenen Grenzen fest, so wie jede von uns im Team. Ich weiß aber, dass diese Basis eben oft nicht gegeben ist. Und genau darum geht's: Dass man aufhört, die Augen zuzumachen und endlich mehr Unterstützung stattfindet. Wir kennen genug Leute aus der Industrie, die sich – sagen wir mal so – nicht angemessen verhalten, und da wäre es auch an der Zeit, dass von Seiten der Firmen was passiert.

MIXOLOGY: Sprichst du mit Kolleginnen über schlechte Erfahrungen in diesem Bereich?

Alina Bazen: Ja, definitiv, das ist immer wieder ein Thema. Und tatsächlich weniger bei Gästen, bei denen man das eher abhakt: Ist passiert, weiter geht’s. Aber bei Menschen, mit denen man weiter zusammenarbeiten muss, wird es zum Problem.

MIXOLOGY: Kann es sein, dass gerade in entscheidenden Positionen manchmal Männer sitzen, die in Hierarchien aufgewachsen sind, in denen vieles noch als normal angesehen wurde?

Alina Bazen: Weiß ich nicht. Gut, Sven und ich gehören vielleicht nicht zum alten Schlag, aber wir sind auch nicht mehr die ganz jungen. Tatsächlich geht es oft um Leute, die sich in der Nähe unseres Alterssegments bewegen. Also nicht die klischeehaften alten weißen Männer, die es noch witzig finden, die Bedienung zu kneifen, sondern eher Leute, die in irgendeiner Form eine eventuell auch nur kleine Machtposition ausüben und das dann in irgendeiner Form ausspielen.

MIXOLOGY: Sehr unschön.

Alina Bazen: Ja, und da wird immer noch viel unter den Teppich gekehrt, nach dem Motto: Stell dich doch nicht so an, das hat er bestimmt nicht so gemeint. Und dann natürlich auch dieser ganze he said, she said-Bereich. Ich weiß von genug Bartenderinnen, die sich entschieden haben, nichts zu sagen, weil es schädlich für ihre Karriere sein könnte.

Sven Goller: Es passiert auch aus meiner Wahrnehmung heraus zu selten etwas, wenn jemand Scheiße baut. Und dann gibt es natürlich Abhängigkeiten, weil alle die Trips mitmachen und das Geld von der Industrie wollen. Ich kriege das immer nur aus Erzählungen mit, aber da wir jetzt auch sehr viele Frauen bei uns hatten, die mit uns sehr offen über alles gesprochen haben … ich will nicht sagen, dass ich schockiert war, weil man ja im Grunde weiß, was abgeht, und was für Leute sich schon was für eine Scheiße erlaubt haben, ohne dass irgendwas passiert ist. Aber das macht mich traurig, dass man das Gefühl hat, in keiner guten Position zu sein, wenn man da etwas anspricht. Andererseits merkt man etwa bei Trips oder Competitions, dass immer mehr Frauen dabei sind, dass auch ein Umdenken stattfindet, nicht immer dieselben zehn bis zwanzig Männer einzuladen.

„Ich will nicht dauernd in der Bar über Politik sprechen, aber die Welt wird immer schwieriger, und ständig die Fresse zu halten macht es auch nicht besser.“

Sven Goller

Alina Bazen: Und auch ganz vorne in den Bars gibt es immer mehr Frauen; Betty natürlich, aber auch Chloé Merz, Maria Gorbatschova, Sarah Swantje Fischer. Die sind ja auch in der Beziehung recht meinungsstark.

Sven Goller: Es kommt vielleicht auch aufs Land drauf an. In südlicheren Ländern hat man manchmal das Gefühl, dass da noch nicht so viel Wert drauf gelegt wird. Aber bei den Mixology Bar Awards sieht man ja, dass sich etwas geändert hat; Wenn ich mich täusche, hat Maria letztes Jahr als erste Frau den Preis für Bartenderin des Jahres abgeräumt. Ich kann mich an Jahre erinnern, da war keine einzige Frau in der Short List. Schön, dass sich das ändert.

Alina Bazen: Es ist eben wichtig, dass sich wirklich etwas ändert. Wir haben uns mit verschiedenen Leuten auseinandergesetzt, auch mit Firmen, die Interesse an dem Thema haben könnten. Ich will nicht sagen, dass es frustrierend war, denn wirklich überraschend war es nicht – wir sind dann auch auf die ein oder andere Person oder Organisation gestoßen, für die das eher ein Pinkwashing-Thema war. Auch wenn dir dann Kolleginnen von weiblichen Vorgesetzten erzählen, die weniger bezahlt bekommen als deren männliche Kollegen, obwohl sie die höhere Position bekleiden.

Sven Goller: Dann sitzen diese Leute in Talks und reden über Empowerment von Frauen. Die Welt ist schlecht.

MIXOLOGY: Womit ich zur Abschlussfrage gelange: Ist es wichtiger denn je, dass die Welt nach Bamberg schaut, um sich zu bessern?

Sven Goller: Es wäre gut, wenn sie nicht nach Bamberg schaut, weil da alle zu viel Bier trinken. Nein, im Ernst: Ich habe Politikwissenschaften studiert und ich bin sehr laut, und wenn ich es mir erlauben kann, dann mache ich das. Ich will auch nicht dauernd in der Bar über Politik reden, aber die Welt wird immer schwieriger, und wenn man dauernd die Fresse hält, wird’s nicht besser. Alina und ich haben eben entschieden, dass das eine gute Sache wäre.

Alina Bazen: Ich sage immer, wir sind in so einer luxuriösen Underdog-Position, eben dadurch, dass wir nicht in einer Großstadt leben und es dadurch auch immer noch Leute gibt, die denken, sie müssten uns nicht für voll nehmen. Dadurch können wir auch Dinge umsetzen, ohne uns um diese großstädtische Barpolitik kümmern zu müssen, ohne dieses Rumgetänzel um Firmen und Markenbotschafter, ohne darauf achtgeben zu müssen, was man zu wem sagt. Wir überlegen: Was wollen wir machen? Ist es cool? Ist es umsetzbar?

Sven Goller: Können wir Löhne und Miete bezahlen? Top.

Alina Bazen: Tiptop. Machen wir. Und dann macht es uns im Idealfall auch noch Spaß.

MIXOLOGY: Alina, Sven, herzlichen Dank für das Gespräch.


Fotocredit
Lara Müller

 


 

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