Es gibt diese kleinen Orte abseits der Metropolen, die normalerweise niemanden interessieren, aber aufgrund wiederkehrender Ereignisse ein oder zweimal pro Jahr überregional auftauchen. Einer der berühmtesten dieser kleinen Orte ist Punxsutawney im US-Bundesstaat Pennsylvania, das aufgrund cineastischer Weihen weltberühmt geworden ist.
In diesem Text geht es allerdings weder um den Murmeltiertag noch um Pennsylvania, sondern um Winterberg im Hochsauerland. Auch Winterberg ist ein oder zweimal pro Jahr auf dem Radar, nämlich wenn auf der dortigen Rodelbahn – eine der wichtigsten auf dem Erdball! – Weltcup gefahren wird. Und um wenigstens einen kleinen Turn hinzubekommen: In Westfalen, zu dem auch das Sauerland gehört, finden sich aus dem 19. Jahrhundert Quellen für Bräuche, die dem Murmeltiertag nicht unähnlich sind.
Der mutige Mann von Winterberg
In dieses kleine Winterberg, das rund 13.000 Einwohner:innen zählt, hat ein mutiger Mann nun eine Bar gebaut, um das kleine Städtchen aus seinem barkulturellen Murmeltierschlaf zu locken: Ende März hat Dominic Bruckmann dort sein Buket eröffnet, oder, ganz korrekt: das [bu‘ket], mit Klammern und Apostroph als Lautschrift für Bouquet oder Bukett. Wo sich in der Poststraße im Ortskern bis vor Kurzem ein traditionsreiches Blumengeschäft fand, lässt Bruckmann nun also das Bouquet von Drinks und Wein statt Blumen durch den Raum wabern. Bruckmann erfuhr sehr früh von der Geschäftsaufgabe und dachte sich: „Wenn ich das nicht für den Schritt in die Selbstständigkeit nutze, dann bin ich dumm.“ Und dann lief alles ziemlich schnell: Lediglich zwei Monate vergingen letztlich zwischen Vertragsunterzeichnung und Eröffnung.
Die Tatsache, dass man über eine neue Bar in Winterberg innerhalb der deutschen Community überhaupt spricht, hat viel mit der Personalie des Betreibers zu tun. Der ursprünglich aus dem niederrheinischen Kleve stammende, heute 37-Jährige konnte im Lauf der letzten eineinhalb Dekaden deutliche Fußstapfen in der Szene hinterlassen: In Berlin war er zunächst Teil der Opening-Crew des Soho House, bevor er im Ur-Amano am Rosenthaler Platz und später als Bar Manager der Bar Tausend aktiv war – jeweils in Zeiten, als diese Bars den Ton der heimischen Szene maßgeblich mitbestimmt haben. Es folgte ein knappes halbes Jahrzehnt als Markenbotschafter für Patrón Tequila und ein weiteres im allgemeinen Marketing von Bacardi Deutschland. Exakt jenes Jahr ließ allerdings den Wunsch nach einer eigenen Bar wachwerden: „In dem einen Jahr Marketing habe ich gemerkt: Nine to Five ist nicht meine Welt. Obwohl es gut funktioniert hat, aber es war für mich nicht erfüllend. Ich habe mich also gefragt: 'Wo gehst Du eigentlich hin?' Das war der Moment, in dem ich zu schauen begonnen habe, welches Konzept in welcher Lage klappen würde“.


So geht Ankommen
Dass der potentielle eigene Laden in Winterberg stehen würde, war spätestens seit 2022 klar, nachdem Bruckmann und seine aus der Gegend stammende Ehefrau im Nachbarort sesshaft geworden waren. Einzige andere Option im Sauerland wäre das ebenfalls für Wintersport bekannte Willingen gewesen. Aber: „Willingen wäre mir für eine Bar zu wild gewesen, dort ist alles etwas lauter. Winterberg wiederum hat eine gute Struktur, eine sehr lebendige Kernstadt, viel Kaufkraft, viel Mittelschicht und eine Crowd, die regelmäßig kommen kann.“ Zwar sei das bislang vorhandene Bar-Angebot „eher Bier, Shots und Rum-Cola“, aber generell dürfe man die angeblich verschlafene Stadt nicht unterschätzen: „Hier leben nicht viele Menschen, aber Winterberg hat pro Jahr 1,2 Millionen Übernachtungen, und zwar sowohl im Sommer wie im Winter – es ist ein Kurort, man kann hier wandern, mountainbiken oder skifahren. Es gibt also nicht das klassische Saisongeschäft, sondern immer was zu tun. Das sorgt auch dafür, dass es hier sehr viel Gastronomie und auch viel gutes Personal gibt“, meint Bruckmann, der vom Start weg mit einem Team von fünf Mitarbeiter:innen loslegen konnte, die allesamt aus eigenem Antrieb zum Buket kamen.
Easy Drinks im Sauerland
Dennoch ist vollkommen klar, dass mit dem Buket kein mixologischer Elfenbeinturm in Winterberg entstehen soll: „Die erste Karte ist sehr einfach und klein. Wir arbeiten da ganz simpel mit schlichten Drinks und auch mit Augenmerk auf Aperitivi. Die Leute hier gehen einfach gern für ein Glas vor dem Essen raus“, weiß Bruckmann und ergänzt: „Natürlich wird die Karte im Lauf der Zeit wachsen, aber es wird und soll easy bleiben. Wir haben Bock, den Leuten moderne Klassiker zu bieten. Aber niemand soll überfordert werden.“ Die Drinks fügen sich damit auch exakt ins luftige, helle, eher minimalistische Design der Bar, das von Grüntönen, Weiß und Naturstein dominiert wird. Ein offener, unkomplizierter Ort, der nicht auf Hermetik, sondern Transparenz setzt. Ergänzt wird das flüssige Angebot mit einfachen, aber stabilen Speisen: „Wir haben inzwischen unser Signature Sandwich mit Mortadella, Ricotta und Basilikum-Pistazien-Pesto am Start, dazu eine geile Vesperplatte mit Produkten von einem lokalen Metzger.“
Bleibt die Frage, wie man es schafft, eine so ländlich und abseits der Metropolen gelegene Bar langfristig und dauerhaft auch in den Köpfen der eben nicht-lokalen Fachszene zu verankern. Denn man muss sich eingestehen: Auch wenn Winterberg ein Urlaubsort ist, kommen da nicht ganz von allein regelmäßig Menschen aus der engeren Bar-Community lang. „Klar, da muss man initiativ dran arbeiten, wenn man möchte, dass man wahrgenommen wird“, meint Bruckmann. „Ich habe so eine Idee, dass man jeden Monat einmal einen Bartender aus einer anderen Stadt herholt für so eine Art Sauerland-Retreat. Gemeinsam eine gute Zeit haben, die Landschaft genießen, gut essen und zusammen einen schönen Abend in der Bar gestalten. Ich bin sicher, dass das gut klappt.“
Den Cocktailmurmeltierschlaf des Sauerlands hat Dominic Bruckmann mit dem Buket beendet. Jetzt gilt es, den Wachzustand aufrechtzuerhalten und auszubauen. Aber wenn man mit Bruckmann spricht, dann hört man, dass zumindest er längst vollkommen angekommen ist an seinem Lebens- und jetzt auch Arbeitsmittelpunkt. Und das ist schließlich das Wichtigste. Denn wenn jemand für einen Ort brennt, dann kann er dessen Geschichte auch glaubwürdig erzählen und weiterentwickeln. Und zwar nicht nur ein oder zweimal pro Jahr.
Punxsutawney kann also demnächst vielleicht was lernen von Winterberg.
Dieser Text erschien ursprünglich in der Print-Ausgabe der MIXOLOGY 3-2025. Für diese Wiederveröffentlichung wurde er formal angepasst, aber inhaltlich nicht verändert.