Bars bleiben weiter geschlossen: Seit dem 15. April wissen Barbetreiber, dass sie immer noch nicht wissen, wann sie wieder aufsperren können. Doch warum wird die Gastronomie so anders behandelt als alle anderen Wirtschaftszweige? Was sagen die zuständigen obersten Behörden? Sie halten sich mit Begründungen zurück. Die de facto unbefristete Schließung der Gastronomie zeigt vor allem eins: Sie ist in Deutschland ein grundsätzliches Stiefkind. Ein Kommentar.
Auf den Ergebnissen der großen gestrigen Runde aus Bundeskanzlerin und allen 16 Landesregierungen ruhten große Hoffnungen fast aller Wirtschaftszweige. Besonders in der Gastronomie, die schon zuvor einer der am ärgsten gebeutelten Wirtschaftszweige der Covid-19-Krise war. Doch – viele dürften es so erwartet haben – es kam eher nach dem Credo von Gandalf aus dem Herr der Ringe: „Nur ein Narr konnte hoffen.“
Schweigen zu Hilfsleistungen für die Gastronomie
Seit gestern nämlich weiß das Gastgewerbe, dass es im Reigen der wirtschaftlichen Interessengemeinschaften auch künftig nach hinten durchsortiert wird. Das liegt nur zum Teil daran, dass bestimmte Handelszweige ab Montag wieder ihren Betrieb aufnehmen können, Gastronomien aber nicht. Es liegt vielmehr an der faktischen Sachlage: Gastronomische Betriebe bleiben auch weiterhin auf unbestimmte Zeit geschlossen. Zumindest in Bayern hat Ministerpräsident Markus Söder am heutigen Mittag konkretisiert, dass die Schließung mutmaßlich bis Pfingsten andauert – aber diese, wenn auch traurige, Verbindlichkeit gilt nur für den Freistaat.
Während etwa Buchhandlungen, Fahrradgeschäfte und weitere Fachgeschäfte ab 20. April unter Gewährleistung bestimmter Auflagen ihren Verkaufsbetrieb wieder aufnehmen dürfen, bleiben Gaststätten weiterhin komplett geschlossen. Ohne Ausnahmen, wenn man von den nach wie vor gestatteten Liefermodellen absieht. Sogar Friseuren wird in Aussicht gestellt, dass sie – bei weiterhin stabil abflachenden Infektionsraten – weitere zwei Wochen später wieder ihren Betrieb aufnehmen dürfen. Gleichzeitig schwieg die Kanzlerin bei der Pressekonferenz zu dem Thema, ob man das Gastgewerbe nun zusätzlich und gesondert mit Hilfsleistungen absichern werde.
Eine Branche wird als irrelevant erklärt
Bei aller Besonnenheit und allem Verständnis, die man von Gastwirten und Bartendern für die aktuellen Erfordernisse fordern darf und muss, ist der erwartungsgemäß laute Aufschrei aus der Branche diesmal wesentlich verständlicher als vor knapp fünf Wochen zu Beginn des allgemeinen Lockdowns. Schließlich erleben Gastwirte, Hoteliers und Tourismusunternehmen jetzt quasi, dass man ihren Firmen und Branchen folgende Dinge attestiert: Wir trauen Euch nicht zu, bestimmte Regeln und Auflagen zu erfüllen. Wir halten diese Branche mit mindestens 1,5 Millionen Beschäftigten für mehr oder minder komplett system-irrelevant. Wir erlauben sehr vielen Einzelhändlern und Dienstleistern, ihre Verkaufsflächen wieder zu öffnen, aber Euch nicht.
Diese zwischen den Zeilen gestellte Diagnose der Politik lässt sich nicht leugnen. Obwohl Gastronomen mit Hygiene besser vertraut sind als viele andere Berufsgruppen, dürfen sie nicht tätig werden. Gleichzeitig erhalten etwa Zahnärzte und Therapeuten teils erhebliche Hilfszuschüsse – und das, obwohl ihnen „nur“ ein Teil der Patienten wegbricht, sie aber ihre Praxen geöffnet haben, also Umsätze erwirtschaften. Man sieht, wer die stärkere Lobby hat. Über Adidas, erst eigenmächtiger Mietminderer mit Milliardengewinn, nun Riesendarlehensnehmer mit Bürgschaft durch den Bund, wollen wir gar nicht sprechen.
Der durchschnittliche Barbetreiber hingegen hat nach Inanspruchnahme vergleichsweise extrem kleiner, einmaliger Soforthilfezahlungen (vorerst) keine weiteren Zuwendungen zu erwarten. Und mit der Aussicht, in Ermangelung eines Zieldatums keinerlei Umsatzprognosen nennen zu können, dürfte kaum ein Unternehmen auch nur daran denken, bei Banken um einen Überbrückungskredit zu ersuchen. Banken und Gastronomie, das ist ohnehin keine Geschichte enger Freundschaft.
»Ein frischer Haarschnitt scheint systemrelevanter als ein Restaurantbesuch. Dieses Kuriosum wird auch nach dem Ende der Pandemie in der Erinnerung bleiben.«
Verzerrung aktueller, realwirtschaftlicher Bedürfnisse
Ein großes Problem sind also mangelnde Verbindlichkeit und mangelnde Wertschätzung. Das Gastgewerbe scheint bis heute und bei aller Professionalisierung in Deutschland noch immer die Assoziation des Inferioren nicht abschütteln zu können. Doch auch abseits dessen müssen Fragen gestellt werden, die vielleicht zunächst polemisch wirken, es aber bei genauerer Betrachtung nicht sind.
Wie kann man beispielsweise ernsthaft öffentlich darüber sprechen, dass die Bundesbehörden mit den Religionsgemeinschaften an Strategien für die potentielle Durchführbarkeit von Gottesdiensten arbeiten – und eine Branche mit einer siebenstelligen Zahl von Beschäftigten bekommt einen weiterhin de facto unbefristeten Lockdown verpasst? Eine solche Verzerrung aktueller, realwirtschaftlicher Bedürfnisse kann nicht der Ernst von Bund und Ländern sein und wirkt satirisch. Unternehmen, die schließen, sind eine akute, weltliche Bedrohung. Wer hingegen auf ernsthafte Weise einen Glauben praktiziert, der wird in der Lage sein, auch ohne institutionalisierte Gottesdienst so etwas wie religiöse Erbauung zu finden. Natürlich ist es schön, dass man Religionsgemeinschaften signalisiert, sie zu beachten. Die Tatsachen erwecken jedoch im Vergleich geradezu Gedanken an Weltfremdheit.
Bars bleiben geschlossen: Gastronomie in schwerem Fahrwasser
Eine vergleichbare Frage drängt sich angesichts der Tatsache auf, dass Friseursalons, wie erwähnt, wieder den Betrieb aufnehmen dürfen. Da wäre zunächst die ganz fundamentale, objektive Frage: Was ist an einem Haarschnitt oder einer Blondierung essentieller als am Besuch einer Cocktailbar oder zumindest eines Restaurants? Neutral gesprochen: Nichts, gar nichts. Dennoch: Ein frischer Haarschnitt scheint systemrelevanter als ein Restaurantbesuch. Dieses Kuriosum wird auch nach dem Ende der Pandemie in der Erinnerung bleiben. Überhaupt dieses Wort, Systemrelevanz. Es wird sich ins Gedächtnis der Gesellschaft zimmern. Aber selbst, wenn man diese sehr abstrakte Frage nach der Wichtigkeit einer bestimmten Sache außer Acht lässt, bleibt ein viel wichtigerer Gedanke. Nämlich jener, dass ein Friseur und sein Kunde sich automatisch näherkommen müssen als ein Bartender und sein Gast. Zumal sich ein durchschnittlicher Gastronom deutlich besser mit hygienischen Gegebenheiten auskennen dürfte als ein Friseur.
Ein Friseur (oder gar Barbier) hält qua Tätigkeit nicht nur den geforderten Mindestabstand zum Kunden nicht ein, er berührt ihn gar. Am Kopf. Das soll kein gegen Friseure plädierendes Beispiel sein – aber eins für die Gastronomie! Denn ein Restaurant oder eine Bar hingegen wäre durchaus in der Lage, Gäste an Zweiertischen in einer Art und Weise zu bedienen, die man mit Fug und Recht als kontaktlos bezeichnen kann. Im Zweifelsfall könnten Gästeduos via Ausweis sogar nachweisen, dass sie im gleichen Haushalt leben. Dafür braucht es kein Hexenwerk. Fertig zubereitete Speisen oder Drinks könnten an einem Ort im Raum durch den Koch oder Servicekräfte zugänglich gemacht werden, an einer Art „Pass“. Tische können in ausreichender Distanz zueinander platziert werden. Natürlich erwirtschaftet kein Restaurant auf diese Weise einen gewohnten Samtagsabendumsatz. Aber es erwirtschaftet Umsatz.
Und wie könnte es weitergehen, also angesichts der jetzigen Sachlage und etwaigen positiven Entwicklungen? In Berlin hält man sich bedeckt. So äußert sich der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Bareiß auf Anfrage von MIXOLOGY, wann eventuell mit Öffnungen gerechnet werden könne: „Das Gastgewerbe ist momentan in ganz schwerem Fahrwasser unterwegs. Als Tourismus- und Mittelstandsbeauftragtem der Bundesregierung liegt mir die Rückkehr zum Normalbetrieb sehr am Herzen. Gesundheit hat aber zunächst Vorrang. Daher dürfen die großen Anstrengungen und Einschränkungen der Bevölkerung, die zu einer Stabilisierung der Lage geführt haben, nicht einfach verpuffen.“ Also im Prinzip wie die gestrigen Aussagen der Kanzlerin in anderem Wortlaut.
Schließung „auf unbestimmte Zeit“ wurde so nicht gesagt …
Auch das Bundeswirtschaftsministerium lässt Fragen, warum beispielsweise Frieseurbetriebe vielleicht zeitnah öffnen dürfen, Gastronomen aber nicht, bewusst unbeantwortet. Pressereferentin Anna Sophie Eichler verweist auf Anfrage lediglich auf die bestehenden Soforthilfen und neue Modelle für KfW-Schnellkredite, ansonsten heißt es kühl: „Beim Corona-Rettungsschirm war es der Bundesregierung wichtig, dass er branchenoffen ist und die Hilfsprogramme für alle zugänglich sind.“ Auf den Umstand, dass das Gastgewerbe en gros schlicht stärker belastet ist als so gut wie jede andere Branche, geht Eichler nicht ein.
Ein wenig beruhigen möchte Peter Höver, Pressesprecher der Staatskanzlei in Schleswig-Holstein: „Die Formulierung mit der Schließung ‚auf unbestimmte Zeit‘ ist so von den Landesregierungen und der Kanzlerin nicht getätigt, sondern vielerorts so kolportiert worden“, gibt er zu Protokoll. „Es wird von nun an alle 14 Tage diese Runde der MinisterpräsidentInnen mit der Bundesregierung geben, das nächste Mal am 30. April. Wenn die Maßnahmen bis dahin greifen, dann werden weitere Lockerungen bewertet.“
Das nördlichste Bundesland ist zwar kein Bar-Eldorado, aber durch seine starke Ausrichtung auf den Tourismus und Gastronomie besonders stark betroffen, insbesondere, da nun die warmen Monate kommen. „Wir hoffen natürlich, dass bei uns im Bundesland das neu geschnürte Hilfspaket für die Hotel- und Gaststättenbranche Wirkung zeigt“, meint Höver mit Verweis darauf, dass Schleswig-Holstein einen Sicherungsfonds für Darlehen mit besonders langer Laufzeit eingerichtet hat.
»Es kann nicht im Interesse der Politik sein, dass eine ganze Branche über Monate durch Kredite künstlich beatmet wird und am Ende in ihrer Gesamtheit überschuldet an den Neustart geht.«
Neue Zuschüsse müssen für die Gastronomie her
Am Ende schließt Höver realistisch und auch ein wenig apologetisch: „Man darf nicht vergessen: Die Fortschritte, die wir bereits feststellen, sind, genauso wie die weiteren Maßnahmen, immer auf das Votum von Experten gestützt.“ Damit weist er indirekt auch den Vorwurf von Willkür oder einer abwertenden Sicht auf die Gastronomie von sich.
Schlussendlich bleibt aber ganz schlicht und einfach zu konstatieren: Beteuerungen über Bemühungen genügen nicht. Das Gastgewerbe ist bislang unter all den vielen wirtschaftlichen Verlierern einer der größten, vielleicht der größte. Dagegen müssen Maßnahmen ergriffen werden. Und die können nicht wieder im Föderalismus aufgedröselt werden, sondern bedürfen einer bundeseinheitlichen Strategie. Sogar mit Blick auf neue, unkomplizierte Darlehensmodelle: Es kann ebenfalls nicht im Interesse der Politik sein, dass eine ganze Branche über Monate durch Kredite künstlich beatmet wird und am Ende in ihrer Gesamtheit überschuldet an den Neustart geht.
Freilich ist es auch für gesamte Politik absolutes Neuland, mit einer solchen Pandemie zurechtzukommen. Daran ändern auch zahlreiche Stresstests und Szenarien nicht, die theoretisch durchgespielt wurden. Doch es ist klar: Neuerliche Zuschüsse, wie Sie auch der DeHoGa schon gestern gefordert hat, müssen her, und zwar solche, die exklusiv für das Gastgewerbe gelten. Und sie müssen rasch kommen. Für die am schlimmsten betroffene Branche. Denn schließlich bekräftigt die Politik derzeit ständig die Maxime, dass ungewöhnliche Zeiten eben ungewöhnliche Maßnahmen erforderten. Und in den Bars, in den Restaurants, in den Cafés – dort sind die Zeiten momentan am allerungewöhnlichsten. Auch ohne frischen Haarschnitt.