Damien Guichard und Sam Orrock machen das Truffle Pig zur spannendsten Speakeasy-Bar Berlins

Damien Guichard und Sam Orrock machen das Truffle Pig zur spannendsten Speakeasy-Bar Berlins


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amien Guichard und Sam Orrock waren Freunde, bevor sie Kollegen waren. Jetzt haben sie im Truffle Pig in Neukölln wieder zusammengefunden, um einen besonderen Ort zu schaffen. Britischer Humor inklusive.

Bei der Frage nach dem schönsten Arbeitsplatzmoment sind die beiden sich einig. „Das war im Sommer“, erinnert sich Damien Guichard. „Am frühen Abend kam eine kleine Gruppe, die so absolut glücklich wirkte, dass wir sie fragten, ob es sich um eine Hochzeit handelte. Sie sagten ja – und wir haben den Champagner geöffnet.“

Einen Ort schaffen, an dem eine Festgesellschaft genauso gut aufgehoben ist wie durstige Anwohner; Zufallsgäste sich ebenso wohlfühlen wie jenes Quartett, das neulich sechs Stunden da war und kein bisschen betrunken am Ende; wo Bartender genauso umsorgt werden wie jene Freundesfreunde, denen Guichard vergangenen Samstag Cosmopolitans gemixt hat – so einen barrierefreien Ort zu schaffen, das ist ihm und seinem Kollegen Sam Orrock im Truffle Pig gelungen.

Ein paar Schritte und eine Stufe

Wobei es „barrierefrei“ nicht ganz trifft. Um ins Truffle Pig zu gelangen, muss man mindestens eine Stufe überwinden. Im Sommer sogar drei, dann nämlich klettert man durchs geöffnete Fenster. Aber jetzt, Ende November, führt der Weg zunächst durch das Kauz & Kiebitz, eine Neuköllner Eckkneipe der angenehmen Art. Es gibt dort Bier vom Fass und Wein ohne Hipsteranspruch. Außerdem – it’s 2019! – eine Unisextoilette. Von dort aus sind es nur noch ein paar Schritte und eine Stufe bis in den ehemaligen Raucherraum. Seit zwei Jahren befindet sich dort eine der spannendsten Bars der Stadt. Fünfundzwanzig Plätze, die meisten davon um einen quadratischen Tresen ausgerichtet.

Dienstagmittag, 13 Uhr. Damien Guichard und Sam Orrock haben unüblicherweise am Tresen Platz genommen, vor sich Espresso und ein Glas Champagner (Orrock) und etwas, das aussehen soll wie Gin & Tonic, fürs Foto (Guichard). Zwischen den beiden dreht Martha ihre Runden, Damien Guichards graue Mischlingshündin, die benannt ist nach einem Song von Tom Waits. Hunde sind also auch willkommen. „Es gibt nichts Schlimmeres, als einem Gast das Gefühl zu geben, nicht gesehen zu werden“, befindet Sam Orrock, mittelbraune Locken, Nasenring und markante Augenbrauen.

Zum schwarzen Rollkragenpullover trägt er eine Jogginghose, „sieht man beim Sitzen ja nicht auf dem Foto“, und wenn schon: Geht gut in Neukölln. Erst vor Kurzem habe er an seinem freien Tag eine Bar betreten, ohne dass jemand von ihm Notiz genommen habe. Damien Guichard weiß ähnliches zu berichten, nicht nur aus Berlin. Entsprechend wichtig ist es den beiden, ihren Gästen von Beginn an ein Wohnzimmergefühl zu geben. Egal, wie hektisch es ist, leere Wassergläser sind ein No-Go. Ein Lächeln zur Begrüßung eine Selbstverständlichkeit. Gleich danach kommt die Karte. 95 Prozent bestellen Guichard zufolge die darauf verzeichneten Drinks. Weil sie ihm vertrauen, was kein Wunder ist, schließlich ist der 31-Jährige ein klingender Name in der Berliner Barszene.

Damien Guichard und Sam Orrock machen das Truffle Pig zur spannendsten Speakeasy-Bar Berlins
Das Design im Truffle Pig ist intim, gemütlich und zeitgenössisch
Damien Guichard und Sam Orrock machen das Truffle Pig zur spannendsten Speakeasy-Bar Berlins
Die Karte beweist: Cocktails auf den Punkt

Vom Au-Pair zum Air Mail

Dabei könnte er ebenso gut vor einer Tafel stehen, statt hinter einem Tresen. Geboren wurde er in der Nähe von Avignon, als Sohn einer Schulrektorenfamilie. Er studierte Übersetzung und Literatur und arbeitete nach einem Au-Pair-Aufenthalt in England als Assistenzlehrer. Weil er fürchtete, in diesem Job unglücklich zu werden, schwenkte er auf Übersetzer um. Nach Berlin kam Damien Guichard nur, um sein Deutsch zu verbessern. In der Sprachschule lernte er dann den Betreiber des Redwood in der Bergstraße kennen, der ihn ermutigte, dort ein wenig Geld zu verdienen.

„Ich hatte keine Ahnung vom Mixen“, gesteht er mit seinen wachen, dunklen Augen und den akkurat gebändigten Locken. Wenn Damien Guichard die Ärmel seines grauen Pullovers hochkrempelt, kommen zahlreiche Tätowierungen zum Vorschein. Rückblickend erwies sich die Arbeit im Redwood natürlich als der beste Sprachkurs überhaupt. Es folgte ein Ritt durch die lokale Barlandschaft, vom inzwischen geschlossenen Antlered Bunny über die Beuster Bar, Velvet und Tier bis hin zur Bar Marquès – bis hin zur Shortlist-Nominierung als „Newcomer des Jahres“ bei den MIXOLOGY Bar Awards 2018. Seine letzte Station war das Mr. Susan, eine im Miami-Style eingerichtete Bar in Berlin-Mitte. Und natürlich hat er im vergangenen Oktober erstmals die MIXOLOGY Bar Awards moderiert.

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Sam Orrock: London, Berlin, London – und jetzt wieder Berlin
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Der Señor Palo Cocktail von Sam Orrock

Den ursprünglichen Traum der Speakeasy-Bar aufleben lassen

Dass er vor einem halben Jahr aus dem Mr. Susan ins wilde Neukölln gewechselt ist, liegt nur an der Hartnäckigkeit seines neuen Chefs. Nach nur wenigen Monaten wird das Truffle Pig von vielen wahlweise als Guichards Spielzimmer oder Bühne oder gar Privateigentum betrachtet, dabei muss eine Geschichte über die Bar eigentlich auch Sven Breitenbruch ins Scheinwerferlicht rücken, der eben nicht irgendein Eckkneipenbierzapfer ist, sondern gleichwohl ein Bartender mit Ambitionen.

Nach seiner Zeit in der Pariser Tiki-Institution Dirty Dick suchte der 31-Jährige 2015 in Berlin nach Räumlichkeiten für eine intime Bar, konnte aber der weitläufigen Eckimmobilie in der Reuterstraße nicht widerstehen, weil sie günstig war und die Nachbarn entspannt, wie er jetzt selbst erzählt, während er etwas hinterm Tresen sucht. Der dreifache Vater sieht noch viel ausgeschlafener aus als Guichard, und auch seine Frisur sitzt perfekt. Zwei Jahre nach Eröffnung des Kauz & Kiebitz erfüllte er sich seinen ursprünglichen Traum und installierte in dessen Hinterzimmer ein Speakeasy. Ob er wehmütig ist, dass sein Zweitprojekt erst jetzt, mit dem Eintreffen der beiden Expats, als hot shit gilt, können wir ihn nicht fragen, weil er schon wieder losmuss, Mittagessen holen.

Damien Guichard und Sam Orrock machen das Truffle Pig zur spannendsten Speakeasy-Bar Berlins
Es lohnt sich, an diesem Tresen Platz zu nehmen

Kennst du Robin Hood?

Der andere Expat, das ist Sam Orrock, gebürtig aus Nottingham („Kennst Du Robin Hood? In meiner Heimatstadt sehen alle so aus“), ehemaliger Politik- und Geschichtsstudent, dann Bartender. Sein erster selbstgemixter Drink, daran erinnert er sich genau, war ein Jägerbomb, bestehend aus Jägermeister und Red Bull. Nach seinem Umzug nach London landete er im mittlerweile geschlossenen Peg+Patriot, dann im SoHo House und wurde schließlich, im Zuge einer Art Städtedeal, 2015 temporär an deren Berliner Dependance verliehen.

Konnten die Londoner ja nicht wissen, dass Leute da gerne mal kleben bleiben. Sam Orrock zunächst im Monella („beste neapolitanische Pizza der Stadt!“), in der Schwarzen Traube und ebenfalls im Marquès. Hat er dort Guichard kennengelernt? „Nein, das war 2014, als ich noch im Tier gearbeitet habe“, wirft letzterer ein, während er einen Drink der aktuellen Karte mixt, den aus Gin, Meerrettich, Cremant und Sellerie Bitters bestehenden „Giddy-Up Pig“. „Ehrlich gesagt habe ich ihn mit jemand anderem verwechselt und war nur deswegen die ganze Nacht extrem freundlich.“ Nach Guichards Schicht waren sie gemeinsam im spelunkigen Bierbaum 2 – und danach Freunde.

Und sind jetzt, nach Orrocks kurzzeitiger Rückkehr in die Londoner Pionierbar Scout und seinem anschließenden Wechsel ins Truffle Pig, auch Kollegen. In manchen Momenten wirken die beiden wie ein altes Ehepaar, herrlich eingespielt und ein bisschen schrullig, was möglicherweise am gemeinsamen britischen Humor liegt, den Damien Guichard sich während seines Englandaufenthalts angeeignet hat.

Truffle Pig

Reuterstraße 47
12047 Berlin

Mi - Sa ab 20 Uhr

Wer mixt schneller im Truffle Pig?

Lasst uns also dieses Hochzeitsspiel spielen, bei dem Brautpaare getrennt voneinander befragt werden: Wer kann was besser? Wer von beiden kann schneller mixen? „Ich, weil ich mehr Erfahrung habe“, stellt Guichard fest, und Orrock nickt. Gleiches gilt für die Frage, wer besser mit minderwertigen Zutaten etwas Tolles zustande bringt. Wer ist der bessere Entertainer? Auch dieser Punkt geht nach Frankreich. „Ich bin emotionaler, Sam ist super darin, den Fokus zu finden. Und zudem ein richtiger Hustler.“

Dann die Königsdisziplin, auch in Hinblick auf Guichards Spotify-Playlist „Get out you’re drunk“: Wer ist besser im rechtzeitig-nach-Hause-gehen? „Eindeutig Damien, schließlich hat er eine Freundin und einen Hund zu Hause“, lacht Sam Orrock, während er sich an die Zubereitung eines „Señor Palo“ macht, der seinen Namen dem angeräucherten Palo-Santo-Holz verdankt. Dekoriert wird der aus Bourbon und Himbeerwein bestehende Drink mit einem Zweig Schleierkraut, dessen deutsches Wort – wir unterhalten uns auf Englisch – Orrock zuletzt gelernt hat.

Damien Guichard und Sam Orrock machen das Truffle Pig zur spannendsten Speakeasy-Bar Berlins
Im Truffle Pig vertrauen 95% der Gäste den Drinks auf der Karte
Damien Guichard und Sam Orrock machen das Truffle Pig zur spannendsten Speakeasy-Bar Berlins
Der Giddy-Up Pig Cocktail von Damien Guichard

Kein Show-off von Techniken, sondern ein Ort für alle

Bars gibt es viele in Berlin. Dass sich eine Menge Leute wohl kaum Guichards bescheidener Vermutung nach zufällig ins Truffle Pig verirrt, liegt sicher an dessen Gastgeberfähigkeiten. Klar, da ist die wöchentlich wechselnde, oft aus Twists von Klassikern bestehende Karte, auf der auch Platz ist für Spielereien wie Sekt on the Beach – aber Cocktails sind Guichard zufolge nur ein Teil von allem. „Es kann sein, dass mir der Drink, den ich letzte Woche für den besten meines Lebens hielt, heute nicht mehr schmeckt, weil die Stimmung im Raum und meine Gesellschaft eine andere sind. Unser Job besteht zu achtzig bis neunzig Prozent darin, sich zu kümmern, taking care, ohne übergriffig zu sein. Es gibt keine blöden Fragen und keine unangebrachten Getränkewünsche. Außerdem hasse ich das Wort Konzept. Unsere Bar soll kein Show-off unserer Techniken sein, sondern ein Ort für alle.“ Eine Nachbarschaftsbar eben.

Dass Stammkunden rund die Hälfte des Publikums ausmachen, liegt sicher auch an den guten Vibes zwischen den beiden Freunden. Manchmal, wenn es um Champagner geht oder er mit einer Wochenration Albatross-Brot auftaucht, kommt bei Damien Guichard das Französische durch, bei Gin & Tonic und Fish & Chips hingegen Sam Orrocks Britannienpatriotismus. Meistens jedoch trennt sie nichts. Streiten sie nie? „Wir diskutieren“, stellt Guichard fest und nippt an einem mit weißer Schokolade versetzten Aquavit, aus dem heute ein neuer Drink entstehen könnte.

Bei einer Frage allerdings werden sie sich absolut nicht einig. „Wer von uns beiden ordentlicher ist? Eindeutig ich!“, ruft Sam Orrock. Sein Freund widerspricht: „Auf keinen Fall. Selbst nach deutschen Maßstäben bin ich in dieser Hinsicht perfekt.“ Dann ist die Welt wieder in Ordnung.

 


 

Angelo Martinelli ist ein weitgereister Bartender. Aber ihm war klar, dass er eines Tages eine Bar in seiner Heimat Heidelberg eröffnen möchte. Das hat er nun getan – und sie der Einfachheit halber nach sich selbst benannt.

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