Das Absinth Depot trotzt seit 20 Jahren der rasanten Veränderung in Berlin-Mitte. Inhaber und Betreiber dieses pionierhaften Fachgeschäftes zum Thema Absinth ist Hermann Plöckl. Markus Orschiedt mit dem Porträt eines besonderen Ortes und eines standhaften Menschen, der „nicht noch einen weiteren Schuhladen“ sehen will.
Berlin-Mitte war schon immer etwas Besonderes. Jedenfalls dachten und denken das die Nachmillenniumsmenschen, die dort wohnen, arbeiten oder früher mal in den 1990ern bis in die Anfangsjahre des neuen Jahrtausends feierten. Es war kolossal. Überall subversive Clubs, Bars, Galerien, Läden, Huren, Theater und bespielte Ruinen.
Nur eines stimmte von Anfang an nicht: Die Menschen, die Alteingesessenen die dort lebten, konnten damit nichts anfangen. Die Menschen, die abends das Publikum für das Treiben gaben und von außerhalb anreisten, waren nie richtig angebunden. Es war eher wie ein Zoobesuch. Geile Menschen, Tiere, Sensationen gucken. Der Nukleus des Untergangs war die Eventisierung und Ballermannisierung am Hackeschen Markt und in der Folge die Renovierung, das Ästhetisieren und die Gentrifizierung des Areals bis hin zur Torstraße. Als Lauf der Zeit, kann man das lapidar markieren.
Was geblieben ist, oder besser sich neu entwickelt hat, ist die Erfindung einer neuen Jahreszeitbestimmung. Die Quartale werden skaliert durch den businesspromisken Dekotausch in den Schaufenstern der häufig wechselnden Mieter. Kleine Schuhe, große Schuhe, Jeansorgien. Eine Quartalsdisruption. Wer heute alle paar Monate durch diesen ehemals brodelnden Teil von Mitte läuft, nimmt einen stetigen Wandel durch Handel, eine rasante Fluidität des Banalen, manchmal auch des Nichts wahr. Leere Schaufenster, kaum noch nennenswerte Gastronomie, die allenfalls auf der Torstraße noch durch Alibi-Rudimente behauptet wird. Mit ein wenig stadthistorischen Kenntnissen findet man noch den ein oder anderen Überlebenden dieser kurzen, heftigen, irren Zeit von Berlin-Mitte. Eine dieser Trutzburgen, ein monolithischer Anachronismus, ist das Absinth Depot in der Weinmeisterstraße.
Thujon und Tänze des Lasters
Inhaber und Betreiber dieses Solitärs und eines der weltweit ersten Fachgeschäftes rund um Absinth nach dessen Wiederzulassung in der EU ist der Bayer Hermann Plöckl. Plöckl, der hauptberuflich Architekt ist, kommt gleich in Fahrt. Die Erinnerungen streifen die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts; als Mitte und das Scheunenviertlel in aller Munde waren. Ein Mix der Kulturen, Ganoven, Ringvereine, Handwerk, bitterer Armut, Spelunken, Kneipen und bi-geschlechtlicher Szenebars. Aber gewachsen aus den Quartieren und deren Bewohnern heraus.
„Ben Becker, der Laarmann (Jürgen, Anm. der Red.), die Berlin Mitte Boys und Spießgesellen haben doch Mitte kaputtgefeiert. Abends saßen die randalierend vor den Bars und haben ‘Tänze des Lasters’ gespielt“, ätzt Hermann Plöckl. Ob in der Neuen Schönhauser Straße die Galerie „Institut“ oder das Großrestaurant „Schwarzer Rabe“ mit seiner Bar „Engelspalast“ – das in früheren Zeiten der legendäre Armen- und Gangstertreff „Café Dalles“ war –, das „Eschloraque“, der „Eimer“, für kurze Zeit schimmerten die Goldenen Zwanziger durch, bevor sie hinter den opaken Glasfassaden von Agenturen und New Market verblassten und Kulisse wurden.
Diese ungezähmte Epoche hatte ein kongeniales Getränk: Absinth. Legendär, aber nie bewiesen, seine toxisch-psychoaktive Wirkung durch die ätherischen Öle des Wermuts, speziell des Thujons. Falls jemand dieses gesetzlich regulierte Öl als THC-ähnliche Wirkung tatsächlich zur Entfaltung bringen wollte, wäre er aufgrund der zu konsumierenden Mengen der Alkoholtod näher. Allerdings mit anekdotischer Evidenz lässt sich bei Absinth eine spezifische Wirkung auf den Konsumenten beobachten (das gilt allerdings auch für andere Spirituosen und Alkoholika). Man sieht keine grünen Feen und verfällt in psychedelische Rauschdelirien, sondern verspürt eine Schärfung der Sinne und eine kreative Gedankenstimulation. Die Legende verweist bekanntlich gerne auf Absinth als Künstlergetränk. Nun, wir wissen nicht was alte und neue Lasterdarsteller getrunken haben, es war jedenfalls zu viel.
Berlin Babylon, im wahrsten Sinne des Wortes
Hermann Plöckl ist „so hineingerutscht in das Absinth-Business. Ich hatte nicht wirklich Ahnung von Absinth. Das war ja früher ein Späti hier und ich habe vor 20 Jahren Geld gegeben für den Umbau. Das wurde dann gleich in den Sand gesetzt, also musste ich selbst ran.“ Er selbst wohnt in Schöneberg und würde nie freiwillig durch Mitte laufen, „aber meine Dickschädeligkeit lässt nicht zu, dass hieraus auch noch ein Schuhladen wird“. Außerdem steckten in diesem Geschäft neben dem Renommee und der beeindruckenden Absinth-Auswahl, dem Zubehör, den sündhaft schönen Tapeten auch 20 Jahre unbezahlte Arbeit, die man nicht so einfach aufgebe. Von der Avantgarde zum modernen Romantiker.
Ja, die Avantgarde, die Künste und der Absinth überhaupt. Gerne erzählt Plöckl die Geschichte vom Admiralspalast. „Die haben ja damals eine Speakeasy Absinth-Bar geplant mit Taifun Sen und Gonçalo de Sousa Monteiro als Betreibern. Da habe ich in zig Meetings mit bis zu sechs Bartendern und Falk Walter gesessen – absurdes Theater. Die Bemusterung hat länger gedauert, als die Bar existiert hat. Na ja, das Equipment hatte dann eine zweite Karriere als Ausstattung für die Serie ‚Berlin Babylon‘.“
Geblieben ist die Freundschaft zu Gonçalo, den er heute noch beliefert für seine Weinbar Bean neben dem Buck and Breck. Neben der Gastrokundschaft hat sich das Absint Depot noch ein Standbein mit einem eigenen Ausschank aufgebaut und einen Onlineshop. „Seit Corona ist der Ausschank nicht mehr möglich für mich. Ich habe keine Lust, mich dauernd im wechselnden Auflagendschungel zu verirren.“ Auch im Onlinegeschäft hat er Erstaunliches erlebt. „Als wir auch Absinth mit Cannabis vertrieben haben – letzteres ist ja nur ein Parfümieren – hat uns die Plattform Shopify suspendiert und PayPal hat für sechs Monate das Konto eingefroren. Das Geld ist wieder da, aber das Konto wird noch immer überwacht. Man kann das löschen lassen, aber ich habe keine Lust, bei PayPal auch nur anzurufen.“ Inzwischen verschicke er Spirituosen nur noch innerhalb Deutschlands, aber Zubehör, Gläser, Besteck, Fontänen, Bücher, Karaffen oder Brouilleure auch ins Ausland.
Van Gogh-Mythos für Dumme
Die Beschaffung der Ware habe sich auch deutlich erschwert. „Die Erzeuger in der Schweiz und in Frankreich befehden sich ja bis aufs Blut. Früher große Festivals wie Fête de l’Absinthe oder Absinthiade sind nicht mehr oder nur als Mikro-Event existent, mein bisheriger Großimporteur ist pleite. Das verteuert den Eigenimport erheblich, jedenfalls durch den Standort Berlin.“
Auf sein Publikum angesprochen, ist Plöckl hin und her gerissen. „Ich habe super Stammgäste. Im Lockdown kamen die zuerst weniger häufig, das hat sich aber wieder stabilisiert. Nerven tun mich die sinnfreien Touristen ohne einen Schimmer Ahnung von was auch immer, aber im Fotorausch. ‚Oh, how amazing. That looks like Leonardo da Vinci, the painter of Spain’ und so Zeug hört man sich im Laden an. Fragen einem Löcher in den Bauch und kaufen kaum was. Wenn ich sie berate, wollen sie doch nur die Copycat-Brands von minderer Qualität aus Tschechien und erklären mir, das sei ja schließlich das Mutterland des Absinths. Mir ist das inzwischen aber Wurscht. Für dieses Klientel hab’ ich jetzt das Ramsch-Zeug auch da, das kriegen sie dann. Nebenan kaufen sie dann eine Unterhose für 80 Euro.“ Amazing, ein bekanntes Phänomen, unter dem viele Städte mit „Overtourism” zu leiden haben.
Bei Reisenden aus Asien wird das luthergeschulte „Schandmaul“ dann wieder konzilianter. „Absinth hat in Südostasien einen hohen Stellenwert. Da weiß man um seine Bekömmlichkeit. Heute bekommt man ja wieder die gleiche Auswahl wie um 1900. Da hat sich herumgesprochen, was das für ein schönes Getränk ist und denen muss man nicht mit dem Van-Gogh-Ohr-ab-Mythos für die Dummen kommen, um einen Impuls auszulösen.“
Guter Stoff, Eis und ein tropfender Wasserhahn
Plöckl bestätigt auch die Beobachtung, dass tendenziell viel qualitätsbewusster konsumiert und gekauft werde. Dieses Klientel sei beratungsoffen und investiere schon mal 50-60 Euro pro Flasche. „Der Trend geht klar wieder zu den Klassikern hin mit den herkömmlichen, würzigen und Anis-Aromen. Es gibt ja richtiggehende Nerdgruppen in den sozialen Medien, die wissen genau was sie wollen, wenn sie zu mir in den Laden kommen.“ Die Auswahl im Absinth Depot umfasst den gesamten europäischen Raum, darunter Raritäten, Absinthliköre, Miniaturen und Sets.
Ob die auch einen Treffpunkt in einer Bar hätten, ließe sich leicht beantworten. „Da gibt es nicht viel. Zu uns sind die Leute vor Corona angereist und haben bis Mitternacht den Laden voll gemacht und probiert. Inzwischen kann man um 20:30 Uhr zusperren, weil nur noch Steppenläufer, das sind diese Gestrüppkugeln, die man aus Western auch als Hexenbesen kennt, hier vom Wind durchgetrieben werden.“ Aber natürlich finde sich im Bean eine gute Auswahl. Auch die Punkbar Lauschangriff in Friedrichshain reüssiere durchaus im Segment. Die Frage nach dem eigenen Nerd-Level wird nur mit mühsam gehaltener Kontenance beantwortet. „Unfug, was man braucht ist guter Stoff, Eis und ein tropfender Wasserhahn als Absinthfontäne.“
The Most intellectual place in Berlin
Das Absinth Depot hat sich auch sonst vom reinen Purismus gelöst. Es gibt ausgezeichnete Biere zu kaufen, die preislich unterhalb eines aus Plöckls Sicht unverschämten Preis-Leisungs-Verhältnisses liegen. Auch einige Craft-Biere sind darunter, Weine und sonstige Spirituosen. „Whisky gibt es nicht. Ich hatte mal welchen, dann stand in einem Touristenführer, wir seien ein Whiskygeschäft. Nach der x-ten Beschimpfung hab ich den Whisky rausgenommen.“ Man hätte natürlich auch das Angebot ausweiten können, aber so tickt Plöckl nicht. Er definiert das Angebot, nicht irgendwelche Fake-Recherche oder reisende Pöbler.
Für die Zukunft ersehnt er sich wieder den Status quo ante. „Wir wollen wieder zum vitalen Treffpunkt werden, nach der Seuche.“ Nicht ganz ohne Stolz erzählt er, dass der The Guardian das Absinth Depot einmal den „Most intellectual place in Berlin“ genannt hat. Das sei zwar Unfug, aber als Label gäbe es schlimmeres. Eine Alternative sei ohnehin nicht sichtbar. „Klar, wenn ich Mitte mit der Lebendigkeit von Schöneberg, Friedrichshain, Kreuzberg oder Neukölln vergleiche – auch ohne Touristen – , kann man neidisch werden. Auf der anderen Seite kann ich mir einen Umzug auch gar nicht leisten. Ist auch strategisch Unsinn. Der Laden lebt von seiner historischen Glaubwürdigkeit. Bei den Kommerz-Hipstern gehen wir unter. Man muss schon in die Einöde kommen, um besonderen Absinth zu konsumieren.“
Es gibt in Bayern die Sonderspezies des konservativen Anarchisten: stabil in seinen Werten und Ansichten, misstrauisch bis feindselig gegenüber Autoritäten und mutigem Trotz vor der Obrigkeit. Hermann Plöckl fürchtet sich vor nichts, außer vor Touristen, Lasterdarstellern und Berlin-Mitte.
Absinth Depot
Weinmeisterstraße 4
10178 Berlin
+49-(30)-2816789
[email protected]
absinthdepot.de