Pünktlich zu seinem 30. Geburtstag – das war vor knapp 13 Jahren – entschied sich Roman Koffer, den Traum von seiner eigenen Bar wahr zu machen. Seither gibt es in Karlsruher Innenstadt-West den KofferRaum mit dem Beinamen „Culinary Institute of Drinking“. Einige Jahre darauf folgte mit der Diagnose einer seltenen, schweren Augenkrankheit ein Schicksalsschlag. Mittlerweile hat er seine Sehkraft fast vollständig verloren. Im Interview mit Juliane Reichert spricht Roman Koffer darüber, wie er gelernt hat, nicht nur mit seiner Krankheit umzugehen, sondern auch mit ihr weiterzuarbeiten.
MIXOLOGY: Lieber Roman, es ist imposant zu sehen, wie du mixt. Du greifst automatisch nach Flaschen, beim Schütteln, Abseihen oder Garnieren geht nichts daneben. Dabei ist das in deinem Fall nicht selbstverständlich. Für alle, die sie noch nicht kennen – erzählst du deine Geschichte?
Roman Koffer: Ich habe 2012 meine Bar KofferRaum eröffnet. Ende 2018 wurde dann die sogenannte LHON-Krankheit diagnostiziert, eine mitochondriale Augen-Nerven-Krankheit, die dazu führt, dass meine Sehkraft stark nachlässt. Ich habe aktuell einen Schärfegrad von vier Prozent, sowie im Sichtfeld einen zentralen, schwarzen Kreis. Einige Nervenzellen am Rand sind noch funktionsfähig, durch die das Gehirn das etwas ausgleichen kann. Alles ist sehr verwaschen, vernebelt. Das kommt auch auf die Tagesform an. Wenn die Sonne abends tief steht, ist es, als würde ein schwarzes Netz drüberhängen. Farben erkenne ich auch – wobei ich sie vermutlich heute anders beschreiben würde als zu den Zeiten, in denen ich noch scharf gesehen habe. Bei der letzten Untersuchung der Sehschärfe kam heraus, dass das innere Gesichtsfeld nicht vorhanden ist – durch das ist man im Grunde genommen blind. Da kommt es dann auch vor, dass man wo dagegen läuft, wenn man es zu spät sieht. Oder eber gar nicht, gehört dazu. [lacht]
MIXOLOGY: Verändert sich die Krankheit fortlaufend weiter oder ist inzwischen ein Stillstand erreicht?
Roman Koffer: Im Grunde genommen erreicht die Krankheit irgendwann ihren Endzustand. Manche sehen dabei besser als ich, andere schlechter. Das Positive, was ich heute verbuchen kann, ist, dass das Gehirn sich etwas an die wenigen Informationen, die noch von den aktiven Sehnerven kommen, gewöhnt hat und sie besser verarbeiten kann. Der „Visus“ von 2019, da waren es zwei Prozent, ist jetzt wieder auf vier Prozent gestiegen. Das heißt nicht, dass nicht irgendwann eine altersbedingte Sehschwäche dazu kommt, aber erstmal ist das eine gute Sache.

MIXOLOGY: Gibt es eine Behandlung? Offiziell ist die Krankheit nicht heilbar …
Roman Koffer: Direkt 2018 wurde mir ein Raxone-Medikament verschrieben. Das habe ich bis April 2020 genommen, aber die Nebenwirkungen waren zu stark, ich habe mich körperlich mies gefühlt. Von verschiedenen Ärzten wurde das Medikament auch anders eingeschätzt; eine Ärztin in Karlsruhe sagte, es gebe 70 bis 80 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass es in ein- bis eineinhalb Jahren besser werden würde. In München hat man von 40 bis 50 Prozent in zwei- bis zweieinhalb Jahren gesprochen, der Entwickler des Medikaments von vielleicht 20 Prozent in zwei bis drei Jahren. Dass es besser werden könnte, wohlgemerkt, immer im Konjunktiv formuliert.
MIXOLOGY: Was genau habt ihr seit dem doch schlagartigen Einbruch der Erblindung in der Bar für Konsequenzen gezogen – im praktischen Alltag, wie auch im Team?
Roman Koffer: Das Team hilft mir massiv, von Belegen oder überhaupt Kleingedrucktem bis hin zum Positionieren von Flaschen für die Verlässlichkeit beim Greifen. Ich erkenne Konturen; je näher ich dran bin, desto besser. Aber bei einem Standardabstand wird das schon schwierig. Es kann sein, dass sich jemand an den Tresen setzt, aber nichts sagt. Bei diesem Abstand von 60 Zentimetern sehe ich eine unscharfe Person. Wenn ich dann eine Stimme höre, weiß ich beispielsweise, dass es sich um meinen Mitarbeiter handelt. [lacht]. Bewegungsabläufe waren das letzte, worin ich mich eingearbeitet habe. Die Hand-Augen-Koordination ging oft schief, weil das Gehirn die Informationen des Sehnervs einfach schlecht verarbeiten konnte.
MIXOLOGY: Wie hat sich das geäußert?
Roman Koffer: Dann habe ich nicht in dem Shaker gejiggert, sondern rechts oder links daran vorbei, nach vorne oder hinten verschüttet, habe auch oft Gläser übersehen – und natürlich auch die Sache mit dem Werfen, da ging anfangs natürlich auch alles daneben.
Erstmal habe ich kaum mehr geworfen, sondern zwischen den Shakern im Abstand von fünf Zentimetern hin- und hergeschüttet – was im eigentlichen Sinne kein Cocktail-Werfen ist. Da bin ich dann aber wieder gut reingekommen, da die Abläufe schon in mir gesteckt sind, ich habe das ja über zehn Jahre lang gemacht. Man muss nur wieder lernen, sich zu konzentrieren, um das richtig zu machen. Das war 2019/20 schon eine der größten Herausforderungen.
„Es sucht auch nicht immer jeder den Kontakt zur Bar, so dass ich dann wüsste, wer genau hier war und ist. Aber die Leute kennen mich und sie wissen, was sie hier bekommen.“
MIXOLOGY: Was sind die aktuellen Herausforderungen?
Roman Koffer: Ich komme so weit mit der Krankheit und im Betrieb klar, kann ich sagen. Dazwischen waren leider noch die Pandemie und ein Brand, aber das ist Vergangenheit. Die aktuellen Bedingungen sind leicht konjunkturell bedingt, und insgesamt würde ich sagen, dass das Ausgehverhalten leicht anders geworden ist. Gerade bei den späten Uhrzeiten merkt man, dass nicht mehr so viel los ist wie früher. Da war um Mitternacht noch ein halbes Dutzend Tische besetzt, jetzt sind es vielleicht zwei. Das bekomme ich auch im Taxi mit beim Heimfahren; zur späten Stunde ist einfach weniger los.
MIXOLOGY: Wie reagieren die Gäste auf deine Einschränkung? Verhalten sie sich hilfreich oder ist das auch herausfordernd?
Roman Koffer: Für mich natürlich schwer zu sagen, weil ich nicht jeden Gast erkenne, der reinkommt. [lacht]. Es sucht auch nicht immer jeder den Kontakt zur Bar, so dass ich dann wüsste, wer genau hier war und ist. Aber die Leute kennen mich und sie wissen, was sie hier bekommen, von mir, vom Team und von der Qualität der Drinks. Deswegen kommen auch viele wieder – das weiß ich, auch, wenn ich sie nicht immer direkt sehe. Die Stammgäste kennen mich, die neuen sind oft fasziniert. Es gibt einige, die seltener kommen, und die denken, dass ich mich erinnern kann. Das tue ich, aber natürlich nicht direkt und ohne Gesicht. Wenn die dann sagen ‚Hallo, ich bin's‘, ist es etwas schwieriger für mich.
MIXOLOGY: Der verwinkelte Schnitt deiner Bar ist schon für einen sehenden Menschen anspruchsvoll, gerade durch den schmalen Wintergarten-Korridor. Wie handhabst du das?
Roman Koffer: Stimmt, die Bar ist verwinkelt, aber dadurch, dass die äußeren Nervenzellen da sind, sehe ich die Peripherie. Ich weiß, wo ein Stuhl steht und dergleichen. Manchmal laufe ich auch dagegen, aber das gehört dazu.
MIXOLOGY: Habe ich etwas nicht gefragt, was oder wen du noch gerne erwähnen würdest?
Roman Koffer: Meine Mutter. Wenn du eine Bar betreibst, geht es nicht nur darum, wie du das operativ handhabst, sondern auch um das Administrative. Da sind einige Sachen schief gelaufen ab dem Moment, in dem ich blind wurde. Überweisungen gingen zurück, weil ich Zahlen falsch eingetragen habe und dergleichen. Das hat mir sehr zugesetzt, da es mir wichtig ist, Gehälter pünktlich zu überweisen. Ab 2019 hat meine Mutter dann das Office übernommen, denn an dieser Stelle braucht man eine Vertrauensperson. Sie macht seither die Buchhaltung für mich.
MIXOLOGY: Lieber Roman, danke für diese offenen Worte und das Interview.
Klarstellen möchte Roman Koffer zudem, dass er nach deutschen Kriterien als blind gilt. Auch wenn er durch seine äußeren Sehzellen noch ein Minimum sehen kann und das somit als „sehbehindert“ gelten könnte, ist es ihm aufgrund der Beeinträchtigungen wichtig, den Begriff der Blindheit zu erwähnen. Durch die äußeren Nervenzellen nimmt er Schemen wahr, doch durch die starke Einschränkung dessen, was das Gehirn in der Kommunikation mit den Sehnerven ausgleichen kann, lautet seine Definition eher „blind“ als „sehbehindert“; die medizinische auch.
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Liebes Mixology Team, ein sehr bewegendes und informatives Interview mit meinem alten Freund Roman. Vielen Dank. Wir kennen uns schon seit seiner großen Zeit im Watt's. Er war für mich immer schon der größte Barkeeper. Um so trauriger sein jetziges Schicksal. Aber auch großen Respekt, wie er damit umgeht. Vor einiger Zeit war ich mal
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