Der Roman „Der Barmann des Ritz“ war in Frankreich ein Sensationserfolg.

Paradies zwischen Himmel und Hölle

Der Roman „Der Barmann des Ritz“ war in Frankreich ein Sensationserfolg. Frank Meier, in der Barwelt bekannt als Verfasser des wegweisenden „The Artistry of Mixing Drinks“, gerät im Pariser Hotel Ritz in die Turbulenzen der dunklen Kriegsjahre.

»Man muss erkennen, dass die Dinge hoffnungslos sind, und dennoch fest entschlossen sein, sie zu ändern«. Diesen Satz hat der Gatsby-Autor F. Scott Fitzgerald dem berühmten Barmann Frank Meier zugerufen, bevor er Paris 1938 den Rücken kehrte. In der Phantasie von Philippe Collin fassten diese Worte dessen Leben exakt zusammen. Frank Meier ist Proletarierkind aus Österreich, genialer Barmann und Jude. Ein kunstvoller Bartender, der scheinbar hinter dem Tresen geboren sei. Sein berühmtes Fachbuch The Artistry of Mixing Drinks ist im Nachdruck heute noch erhältlich.

Nach vielen Umwegen über Migration in die USA, erstem Weltkrieg in der Fremdenlegion auf Seiten der Franzosen, verschlägt es ihn ins Pariser Ritz, wo er 1921 die Pétit Bar eröffnet und zu einem legendären Ort der Zeitgeschichte entwickelt. Die Berühmtheiten der Welt aus Politik, Kultur, High-Society und Halbseidenheit treffen hier aufeinander. Doch dann beginnt das Verhängnis. Der Zweite Weltkrieg bricht aus und mit der Besetzung von Paris durch die Nazis wird Meiers Leben auf den Kopf gestellt. Er gerät zwischen alle Fronten, muss um sein Leben fürchten, Leben retten (nicht, ohne sich daran zu bereichern), Politik mit Mixologie verbinden – seinen Kosmos in Balance halten wie ein ausgefeiltes Rezept für einen Signature Drink. Er ist der Barmann wie aus dem Buche: Alles nimmt er auf, kenntnisreich, verschworen, aber selbst nur das Nötige preisgebend. Philippe Collin erzählt mit viel Tempo und leichter Eleganz über die vier Jahre von 1940 bis 1944, die alles andere als leicht waren. Eine spannende Lektüre, in der sich Zeitgeschichte, historische Persönlichkeiten und Fiktion zu einer abenteuerlichen Komposition verknüpfen.

Überleben in Champagnerströmen      

Es sind die kleinen und die großen Dinge, die sich abwechseln. Die stete Obhut und Sorge um Luciano, den Lehrling, die Kämpfe mit der verschlagenen Marie-Louise Ritz, die heimliche Liebe zu Blanche, der abgründigen Morphinistin, die Kollaborateure der französischen Kulturschickeria, die Nazi-Generäle (teilweise im Komplott gegen Hitler), Gabrielle »Coco« Chanel, der Opportunistin in eigener Sache. Meier lässt sich hineinziehen in den Handel mit gefälschten Papieren, um Juden außer Landes zu schleusen, und häuft damit ein kleines Vermögen an. Die Zeiten sind uneindeutig. Arno Breker, der faschistische Großbildhauer, soll eine große Feier mit eigens kreiertem Cocktail bekommen. Ernst Jünger habe einen Charme, der sich entfalte wie ein Teebeutel in heißem Wasser. Nun ja. Jünger taucht immer wieder auf. Die Figur symbolisiert damit die komplexen Ambivalenzen und Grauzonen innerhalb der Besatzungsmacht und spiegelt Frank Meiers zwiespältige Stellung als jüdischer Barmann wider, der trotz Gefahr eine gewisse Beziehung zu einzelnen Deutschen entwickelt. Jünger wird zum Protagonisten, der spiegelt, dass nicht alle Deutschen uniform agierten, sondern funktionelle innere Konflikte auszutragen hatten. Hier folgt Collin der Faszination vieler französischer Intellektueller für den deutschen Schriftsteller, die sich über alle politische Lager hinweg bis heute gehalten hat. 

Der Autor Philippe Collin setzt Frank Meier ein literarisches Denkmal

Das Buch und Meier bezeugen eine Welt aus Loyalität, Betrug, Mut und Feigheit. Dem schmalen Grat zwischen Überleben und Widerstand. Dazu werden sämtliche Klassiker der Barkultur zubereitet, man badet in Strömen von Cognac und Champagner – zunächst! Ganoven und Unterweltgrößen mischen sich als neue Akteuere der Verkommenheit unter die neuen Eliten, Meier immer mittendrin. Mal als Geheimnisträger, mal als Schlichter, Vermittler des Unvermittelbaren. Das alles wird atmosphärisch und dramaturgisch dicht erzählt. Fiktive Tagebucheinträge werden zum inneren Monolog und reflektieren das Geschehen. Collin gelingt das Kunststück, eine Zeit zu schildern, in der die Rollen eindeutig verteilt sind. Die Charaktere sind es aber nicht. Er vermeidet Klischees, zeichnet seine Figuren mit innerer Tiefe und Vielschichtigkeit, was für einen reichen Spannungsbogen sorgt. 

Lesekonfekt zum Dirty Martini

Darüber hinaus hat Collin Humor, selbst bei diesem Stoff. Wir lesen kein phrasenhaftes Geschichtsgeplapper, sondern ein Kaleidoskop aus Angst, Überleben, Kollaboration, Widerstand. Wie nebenbei wird die alte Frage sichtbar, wie die Nachgeborenen eine solche Zeit und ein mögliches eigenes Handeln imaginieren. Der Bartender Frank Meier ist in einer geradezu dramatischen Situation: Sein Berufsethos verlangt nach Behandlung seiner Kunden mit der Neutralität eines Arztes. Dennoch ist er Betroffener von Niedertracht und politischer Feindschaft, noch dazu ist er als Jude akut gefährdet. Sich darin nicht zu verlieren, zeugt von Größe und Souveränität. Auch von viel Lebensklugheit. Collin hat all das Meier auf den Leib geschrieben. Man möchte gerne annehmen, dass sich das alles so oder so ähnlich zugetragen hat. Der Barmann des Ritz war in Frankreich ein Riesenerfolg. Nun liegt es erstmals in deutscher Übersetzung von Amelie Thoma vor. Eine satt aus dem Leben destillierte Geschichte voller Welthaltigkeit, die sich großartig gegen den grassierenden und leider ermüdenden Trend zur autofiktionalen Selbstbetrachtung abhebt. Pralle, lebendige Literatur.      

Das Buch beginnt noch vor dem Prolog mit einem Zitat von Ernest Hemingway, in dem dieser sich das Paradies als ein Leben im Ritz erträumte. Es endet mit breitbeinigem Einzug Hemingways in die Bar des Ritz am Tag der Befreiung von den Nazis im August 1944. Frank Meier begrüßt den alten Bekannten Papa mit den Worten: »Oh, ja! Willkommen im Paradies …« Ein Paradies, das lange zwischen Himmel und Hölle taumelte. Vorzügliches Lesekonfekt zum Dirty Martini.

Philippe Collin: Der Barmann des Ritz

aus dem Französischen von Amelie Thoma

Suhrkamp | Insel Verlag, 2025

447 Seiten, Hardcover, € 25,-  


Dieser Text erschien ursprünglich in der Print-Ausgabe 5-2025 von MIXOLOGY. Für diese Wiederveröffentlichung wurde er formal adaptiert, inhaltlich aber nicht verändert. Information zur Bestellung einer Einzelausgabe oder Abonnement findet sich in unserem Shop (via Meininger-Verlagsseite).

Fotocredit
Suhrkamp

 


 

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