Ist die Bar Community tot? Communitys, Gemeinschaften, sind keine fest gefügten Gebilde. Sie ändern sich, vergrößern oder verkleinern sich. Nehmen neue Mitglieder auf, während andere gehen. MIXOLOGY-Herausgeber Helmut Adam ist der Meinung, dass die Bar Community durchaus etwas Aktivierung vertragen kann und beschreibt, um was es beim ersten Bartender Symposium in Wien gehen wird.
„Die Community ist tot!“ sagte vor ein paar Monaten ein erfahrener Bartender zu mir in einem Telefonat. Es gebe das enge Zusammengehörigkeitsgefühl nicht mehr, dass noch vor drei, vier Jahren in der Barszene bestimmend gewesen sei. Derzeit gehe es nur um den eigenen Vorteil, die Firmen hätten die Events und Community-Anlässe gekapert. Nicht mehr die Sache an sich stehe im Mittelpunkt, sondern das Ergattern des nächsten lukrativen Messe-Jobs von Firma XY oder die Berufung zum lokalen Markenbotschafter auf der Gehaltsliste eines Getränkekonzerns.
Nun, etwas ist dran an seinen Worten. Die Bartendernetzwerke, vor ein paar Jahren furios gestartet, sind vielerorts eingeschlafen. „Auf ein Mailing bekomme ich derzeit nicht einmal zwei Rückmeldungen“, bestätigt der Organisator eines lokalen Bartenderzirkels kürzlich diesen Trend. Was von außen oft nicht sichtbar ist – in den meisten offenen Netzwerken und Gruppen sind es ein, zwei Personen, die die Arbeit machen. Werden sie müde, schläft auch das ein, was man „Community“ nennt.
Die große Ermüdung
Nehmen wir das Beispiel „Traveling Mixologists“. Bei diesem internationalen Netzwerk, in dessen Reihen der Autor dieser Zeilen auch einmal kurz (als professioneller Aschenbecherwechsler) mitwirkte, war Jörg Meyer das organisatorische Rad. Die Veranstaltungen, bei denen es, heute kann man das auch offen sagen, im Hintergrund immer viele Häuptlinge und wenig Indianer gab, waren ein absoluter Publikumsmagnet in der Szene.
Die Interessen der weißgewandeten internationalen Barmänner haben sich über die Jahre allerdings auseinanderentwickelt. Und das interne Schwungrad des Netzwerkes, Jörg Meyer, betreibt mittlerweile zwei Bars und hat verständlicherweise andere Prioritäten. Entsprechend werden auch die Rufe nach neuen Events von diesem Netzwerk wohl eher ungehört verhallen. Kurz nach dem Bar Convent war diese Frage schon einmal Gegenstand eines Textes von MIXOLOGY-Autor Marco Beier:
“Wo sind denn die jungen Wilden, die die Wettbewerbe beherrschen und vor Kreativität nachts nicht einschlafen können? Alle so vereinnahmt durch die Arbeit am Messestand, dass nebenher nichts mehr geht? Oder wartet ihr noch immer, dass Jörg Meyer seine TravMix wieder um sich schart und es Champagnerkorken regnet? Vielleicht seid mal langsam ihr am Zug für einen besonderen Kick-off zu sorgen oder den Abend zu gestalten.”
In den Kommentaren zu dem betreffenden Artikel wurde am eigentlichen Thema allerdings eher vorbeigeredet. Da wurde geseufzt, dass alles zu groß und zu anstrengend geworden sei. Andere wiederum merkten an, sie hätten hinter dem Brett gestanden, aber kein großes Aufheben darum gemacht. Dabei geht es überhaupt nicht um die Arbeit in den Bars. Es geht vielmehr um die öffentliche Wahrnehmung der Szene, darum, dass so etwas wie ein Community-Spirit, ein “Zusammen” fühlbar ist. Und für dieses Zusammengehörigkeitsgefühl haben in der Tat zu einem nicht unerheblichen Teil Veranstaltungen der Bartender-Netzwerke gesorgt.
Ein Element, das sicherlich den Schwung aus den Segeln der lokalen Bartendernetzwerke genommen hat, sind die enorme Vielzahl an Veranstaltungen mit Community-Charakter, die die Spirituosen- und Getränkeindustrie mittlerweile veranstaltet. Ganz klar haben die Marken die letzten Jahre nicht verschlafen und Kiebitz gespielt bei den Bartendern. Da gibt es mittlerweile den Kräuterzirkel, den Hubertusrat oder die World Class Bartender.
Der Barmann im Zentrum des Markensturms
All diese Programme haben das Ziel, Marken bei den Bartendern interessant zu machen und nutzen dazu Community-Elemente. Der große Unterschied dieser „Netzwerke“ zu den freien Zusammenschlüssen der Bartender besteht allerdings in der mehr oder weniger strikten Kontrolle, wer an ihren Veranstaltungen teilnehmen darf und wer nicht. Ganz klar, die organisierenden Agenturen und Marketingmenschen müssen ihre Budgets rechtfertigen, müssen Erfolge vorweisen.
Diese Programme haben viele Bartendern Quantensprünge ermöglicht. Sie bekommen Reisen bezahlt, lernen spannende internationale Referenten und Experten kennen und können vor Ort Produktionsanlagen besichtigen oder mit Master Distillern sprechen. Noch nie gab es so viele Möglichkeiten in der Branche, um sich fortzubilden auf dieser Ebene. Der sogenannte „on-trade“, die Gastronomie, steht bei fast jedem Spirituosenkonzern ganz oben auf der Prioritätenliste.
Allerdings haben diese Aktivitäten auch eine Kehrseite. Betrachtet man die Entwicklung der letzten zwei, drei Jahre, hat man den Eindruck, dass gerade dieser „Sturm auf den on-trade“ den Wind aus den freien Netzwerken der Bartender genommen hat. Wieso sich lokal engagieren, wenn man monatlich mehrfach eingeladen wird zu einer Firmenveranstaltung? Wieso ein Treffen organisieren, wenn mich Firma XY ohnehin einfliegt zu einem Cocktailwettbewerb, an dem ich zig andere Bartender treffen kann?
Die satte Bartender-Maus
Der Bartender-Maus scheint das Mehl nicht mehr zu schmecken. Wieso noch einen Finger rühren, wenn man mir alles ohnehin auf dem Teller serviert? Ein gutes Beispiel ist eines der großen globalen Bartender-Events, über dessen Start ich vor ein paar Jahren noch enthusiastisch geschrieben hatte. Der Charme des Beginns ist aus meiner Sicht mittlerweile einer großen, geschlossenen Marketing-Walze gewichen. Und vielleicht war es auch naiv von mir, etwas anderes davon zu erwarten, als dass man Bartender, die daran teilnehmen, zu einer Art shakenden Litfaßsäulen macht. Klar, am Ende des Tages geht es eben doch ums Verkaufen.
Vor ein paar Monaten traf ich ein paar von ihnen, die nun rund um die Welt in Schulungen eingesetzt werden, auf einer internationalen Messe. Ich kannte sie schon lange vor dem Marken-Programm. Umso mehr bedauerte ich beim Treffen, wie sich das Umfeld verändert hat. Die Barleute wirkten gehetzt, fest in der Hand der lokalen Agentur, der Zeitplan minutiös durchgetaktet. Illusorisch, sich abends auf einen Drink zu verabreden. Es sei denn, man schaffte es irgendwie auf die „strictly V.I.P. party“. Irgendwie war das früher alles ein bisschen cooler, lockerer. Mehr „Community“. Da ist das Wort wieder!
An dieser Stelle möchte ich nicht falsch verstanden werden. Das beschriebene Programm ist fachlich exzellent und hat vielen Bartendern eine enorme Fülle an Wissen und Kontakten beschert und wird es wohl auch weiterhin. Als Medium sind wir seit mehreren Jahren Partner dieser Veranstaltung. Ich selbst habe mehrfach gegen Honorar als Juror bei den Ausscheidungen mitgewirkt.
Es ist nur die Abwesenheit freier, selbst organisierter Events, die einem das Gefühl gibt, dass die kommerziellen Veranstaltungen überwiegen und dominieren. Denn diese Firmenveranstaltungen können Community ganz klar nicht ersetzen. Und das kann man von ihnen auch gar nicht erwarten. Dabei gibt es im jährlichen Bar-Zirkus genügend Raum für beides!
Deshalb wünsche nicht nur ich mir wieder mehr von der anderen Sorte. Mehr Bartender-Punkrock! Wieder mehr von diesen 40 bis 50 Bartendern, die früher auf die London Barshow getreckt sind. Auf eigene Kosten und mit leerem Rollkoffer, um im Rudel Gerry’s leer zu kaufen und schlicht eine spannende, gute Zeit miteinander zu haben.
Was der Barszene fehlt
Aus der reinen Analyse muss allerdings auch Handlung entstehen. Statt zu schimpfen, zu mahnen oder mit dem Finger aufeinander zu zeigen, sollte man schauen, was fehlt. Wir als Medium nehmen uns dabei nicht aus. Wir haben den Bartender-Netzwerken, ob sie Vienna Bar Community, Münchner Barzirkel oder Barzirkel Ruhrgebiet heißen, von Anfang an mediale Reichweite verliehen. Als Magazin haben wir uns von Beginn an als Partner des Bartenders verstanden. Als jemand, der fordert und fördert.
Im Jahr 2006 organisierten wir zum Beispiel die Jubiläums-Aktion „200 Jahre Cocktail“, an der sich viele Bars beteiligten. Die Einnahmen aus dem Verkauf eines Teils unserer Sonderausgabe, den viele teilnehmende Bars organisierten, nutzten wir in der Folge für Veranstaltungen unter dem Label „European Cocktail Museum“, stellten dafür Personal , Räume und Platz im Magazin. Dies sollte der Non-Profit-Zweig unseres Verlags werden. Wir wollten vergriffene Bar-Literatur wieder auflegen, einen Wissens-Pool schaffen. Die Dynamik, die die Barszene erfasst hat, überholte allerdings rasch diese Pläne.
Mixellany hat mittlerweile preisgünstige Wiederauflagen aller großen Cocktailklassiker im Angebot. Es wimmelt nur so von Fortbildungen, Schulungen und Programmen. Zeit für eine Neuorientierung. Das Museums-Projekt lassen wir ruhen. Möglich, dass wir Logo und Idee in Zukunft jemand anderem zur Verfügung stellen, der tatsächlich ein anders gewichtetes Museumsprojekt für die Öffentlichkeit organisieren will.
Das Reizwort “Ausbildungsberuf”
Dafür möchten wir ab sofort unsere Zeit und Reichweite etwas Neuem widmen. Denn was fehlt in der Branche, ist nach wie vor der nächste Schritt. Wo wollen wir hin als Bartender? Wollen wir tatsächlich wahrgenommen werden außerhalb der Grenzen unseres Berufstandes? Möchten wir gemeinsam den Beruf zu einem mit standardisierten, etablierten Ausbildungsschritten machen? Ja, da ist es wieder dieses Reizwort “Ausbildungsberuf”, das schon so oft in den Mund genommen wurde, dass es eigentlich schon nervt.
Tatsächlich wurde in endlosen Off- und Online-Debatten in der Barszene seit Jahren darüber groß formuliert und diskutiert. Wenig hört man derzeit davon. Und wenig ist tatsächlich in diese Richtung passiert. Seien wir ehrlich – nichts ist passiert! Die Stärke und Lebendigkeit der Szene mit einer Vielzahl von Bar-Eröffnungen, Messen und Veranstaltungen wirkt derzeit absurderweise wie ihre Schwäche.
Es fehlt ein neuer Anlauf mit den richtigen Personen aus der Branche, die bereit sind, gemeinsam wieder die Fäden aufzunehmen und tatsächlich etwas aus der vielgerühmten Netzwerkqualität des GSA-Bartending entstehen zu lassen.
Auf nach Wien zum Bartender Symposium!
Und genau das wird nun im April passieren. Die Vienna Bar Community lädt ein zum ersten Bartender Symposium. Gemeinsam mit anderen Bartendernetzwerken, mit den Bartendern und Bar-Betreibern anderer Städte und Regionen, soll diskutiert werden, wie die Branche von innen heraus (!) professionalisiert werden kann. Keine Firma wird die Flüge nach Wien bezahlen. Kein Sponsor seine Ware auf die Tische stellen. Keine irgendwie gearteten freiwilligen oder unfreiwilligen Handschellen, keine Politik, keine Denkverbote. Es geht rein um das Bartending. Um den Beruf des Barmanns, um seine Anliegen.
Es war Gerhard Kozbach-Tsai, langjähriger Manager des Scotch Club in Wien, Mit-Gründer der Vienna Bar Community und Mitglied der Jury der MIXOLOGY BAR AWARDS, der letztes Jahr auf uns zukam mit dem Vorschlag eines freien Zusammentreffens außerhalb des Messe- und Wettbewerbskalenders. Von MIXOLOGY aus haben wir, um einen zusätzlichen Anreiz für Bartender und vor allem Barbetreiber zu schaffen, mit uns die Reise nach Wien anzutreten, das Finale der Made in GSA Competition 2013 nach Wien gelegt. Es wird am Vortag des Bartender Symposiums stattfinden.
Das Blog des Bartender Symposiums ist bereits hochgeschaltet. Wer auf dem Laufenden bleiben möchte, sollte die nächsten Tage und Wochen öfter Mal dort vorbeischauen oder der Facebook-Seite beitreten. Gemeinsam mit der Vienna Bar Community hoffen wir, dass dies der Auslöser wird für mehr Dynamik im Miteinander der Bartender-Community. Denn wir sind überzeugt – sie lebt!
Weitere Informationen:
bartender-symposium.com