Aus der ehemaligen, bekannten Karl May Bar im Kempinski Dresden ist die Bar 1705 geworden. Dort will das Hotel den Spagat zwischen Klassik und Moderne umsetzen. Verantwortlich dafür ist mit Barchef Thang Viet Trinh ein Eigengewächs der Stadt – der setzt auf Tatendrang und Teamwork.
Vielleicht ist es die Semperoper, die als Leitbild des an Attraktionen nicht armen Dresden dienen kann: die Schönheit des Gebäudes ist zweitrangig, wenn man es nicht mit Inhalt füllen kann – der Klang des Namens darf drinnen auf der Bühne keine kakophonische Entsprechung haben. Auch ein Gottfried Semper hatte schließlich kein Bauwerk geschaffen, das etwa die akustischen Niederungen von Modern Talking kompensieren hätte können.
Gleich gegenüber steht auch ein Haus, dessen Fassade danach verlangt, mit Inhalt erfüllt zu werden – nämlich das Taschenbergpalais, eine denkbar prachtvolle, bauliche Huldigung eines Fürsten an seine Geliebte. Es steht wieder, müsste man korrekterweise sagen, denn das Palais wurde im Krieg komplett zerstört und erst nach der Wende wieder aufgebaut, um dort, wo die Gräfin Cosel herrlich geräumig hauste, künftig in großer Zahl Gäste eines Luxushotels unterzubringen.
Der neue Hotelbar-Standard
Nachdem aber rund dreißig Jahre im Leben eines Luxushotels einen langen Zeitraum darstellen und das Empfinden für Luxus ohnehin eine kurze Halbwertszeit besitzt, wird das Taschenbergpalais Kempinski seit einem guten Jahr sukzessive aufgehübscht – und dazu gehört, Trommelwirbel, mittlerweile eben auch eine Bar, die internationalen Standards genügt.
Es ist möglicherweise der bedeutendste Index für die Bedeutung der Bar in der Neuzeit: Kein Hotel im oberen Preissegment kann es sich noch erlauben, den betulichen Standard aus Gin & Tonic und Scotch on the Rocks aus den 1980ern aufrechtzuerhalten; eine schlechte Hotelbar ist, spätestens seit dem Erfolg des The Connaught, ein Indiz dafür, dass man sich von der internationalen Spitze verabschiedet hat.
Schon nach dem Wiederaufbau des Palais verfügte das Kempinski hier über eine Bar, und zwar die allseits beliebte Karl-May-Bar, in der nach der Maueröffnung viel Pionierarbeit in Sachen Barkultur geleistet worden war, deren Konzept aber ebenfalls als renovierungsbedürftig angesehen wurde – Old Fashioned ja, Old Shatterhand eher weniger.

Bar 1705
Bar 1705 mit Eigengewächs
Die Aufgabe der Leitung und Konzeptualisierung wurde dem Dresdner Eigengewächs Thang Viet Trinh anvertraut, der sich seit einigen Jahren durch seine Umtriebigkeit und seinen unstillbaren Wissensdurst, gepaart offenbar mit dem Schlafbedürfnis einer Giraffe, einen Namen in der deutschen Barszene gemacht hat.
Man findet in Trinh einen seltenen Vertreter jener Menschen, die sich global bilden, ohne deshalb ihre Heimat verlassen zu wollen, und die schon alleine dadurch eine Bereicherung darstellen – das Gegenteil von Brain Drain, eher ein Brain Sponge. Ein Wort der Anerkennung hierbei auch an das Management des Kempinski mit seinem Blick für das Talent vor der eigenen Haustür, anstatt sich, wie leider viel zu oft, mit scheinbar größeren Namen aus größeren Städten zu vergaloppieren.
Spagat zwischen Klassik und Moderne
Es ist dabei zu betonen, dass Dresden eine überaus lebendige Barstadt ist, die auf vielen verschiedenen Ebenen der Gastlichkeit Qualität bietet, und Trinh ist der Erste, der dem Besucher das auch zeigen will, ohne sich selbst in den Vordergrund zu spielen. Von der Opera Bar ums Eck, deren Betreiber, Stephan Herz, als ehemaliger Schumann’s-Adept von Trinh persönlich augenzwinkernd mit einem Swimmingpool versorgt wird, über das Gin House, aus dem mit Luisa Fritsche die Gewinnerin der diesjährigen World Class kommt, dann dem ebenso lockeren wie wohlschmeckenden Twist bis hin zum Lebowski, einer Absturzkneipe aus dem Bilderbuch, so glorios und brachial, dass man einheiraten möchte.
Brachial ist natürlich kein Attribut, mit dem sich die Bar im Kempinski jetzt schmücken möchte, und der neue Name weist den Weg: 1705, nach dem Entstehungsjahr des Gebäudes, zeigt zumindest die eine wichtige Komponente, der sich eine Hotelbar verpflichtet fühlen muss, nämlich Tradition, besonders in ihrer edlen Form. Es wird, mehr als in jeder anderen Bar, ein gewisses klassisches Portfolio an Drinks erwartet; eben das, wodurch sich die ursprüngliche American Bar definierte.
Gleichzeitig muss mittlerweile auch der Spagat in die Moderne gelingen, ohne dabei stilbrüchig zu werden – Kreationen à la Paradiso oder Nightjar kann man sich hier (noch) eher weniger vorstellen. Das erfordert große Sensibilität und einen sehr gezielten Einsatz der persönlichen Kreativität; aus dieser grundsätzlichen Beschränkung vermag es Trinh allerdings, eine Stärke zu formen – schließlich ist es „Innovative Cocktail-Kultur“, die sich die Bar 1705 auf die Fahnen geschrieben hat, und zwar zu recht.
Das geht mit einer Äußerlichkeit los: Wer aus beruflichen Gründen viele Barkarten zu sehen bekommt, kann manchmal nur noch ein begrenztes Interesse für die Erzählungen aufbringen, wonach das Pamphlet, das man gerade in Händen hält, dem Kalender der Maya, der Schönberg’schen Zwölftönerei oder der Fruchtfolge in Hildegard von Bingens Küchengarten nachempfunden ist. Die Barkarte in der Bar 1705 ist aber sowohl stimmig als auch schön, und die Arbeit der Designer macht sich hier definitiv bezahlt. Die gewählte 1920er-Jahre-Ästhetik der Illustrationen zu den Cocktails passt perfekt zum oben erwähnten Spagat zwischen Klassik und Moderne; ein Hauch Humphrey Bogart, der dem Schwarzweiß von Casablanca entrissen wurde und als „Detective“ mit Islay und Chartreuse brilliert, der elegante „Dancer“ mit Yuzu, Earl Grey und Ingwer, oder der „Pianist“ mit Rum, Pandan, Erdbeer und Schokolade, der sich getreu seinem Namen als echter Crowdpleaser erweist.


Die Bar als Teamsport
Trinh und Team, dabei vor allem zu nennen seine beiden Säulen, Sia Rabe und Robin Hansen, haben ein wunderschönes Potpourri aus Drinks geschaffen, das alle Begehrlichkeiten abdeckt, ob nun leicht oder stark, komplex oder eingängig, floral oder herb, klassisch oder modern, und die bildlich-metaphorische Umsetzung in der Karte ist nicht nur nicht an den Haaren herbeigezogen, sondern gelungen wie selten.
Die Bar selbst mit dem Leder, dem dunklen Holz inklusive einem langen Tresen samt der dominanten Backbar erfährt ihre Kontrapunkte durch kleine Akzente wie die alles überwachende Schaufensterpuppe, die nur darauf zu warten scheint, den nächsten Charleston aufs Parkett zu legen, und die ich die Ehre habe, hiermit Dorothy zu taufen – nach Dorothy Parker, deren Martini-Zitat nur ein kleiner Abglanz ihrer Brillanz ist, und deren literarischer Zirkel, damals ein Fixpunkt progressiver Ideen, in einer Hotelbar tagte. Wo auch sonst. Man bereite sich einen Algonquin.
1705 als Aushängeschild für Dresden
Der zweite, immens wichtige Kontrapunkt zum anspruchsvollen Ambiente sind die Mitarbeiter selbst, die mit großer Herzlichkeit auf ihre Gäste zugehen, ohne je dabei distanzlos oder anbiedernd zu wirken. Man fühlt sich sofort wohl.
So ist die Bar bestens aufgestellt, um die mannigfaltigen (und hochgesteckten) Ansprüche ihrer internationalen Hotelgäste zu bedienen, will dabei aber keinesfalls vergessen, dass man auch eine Bar in Dresden für die Dresdner ist; zwar mit einer besonderen Charakteristik, die sich jedoch keinesfalls arrogant über ihre Umgebung erheben will. Das 1705 transponiert den Auftrag jedes guten Hotels in den Barraum hinein, nämlich, dem Gast so gut wie möglich ein Stück Heimat zu vermitteln.
Dabei ist es schon hilfreich, selbst diese Heimat ein wenig zu leben und zu lieben. Trinh und Team tun das und haben ein weiteres Aushängeschild für ihre Stadt geschaffen.