Jeder Genießer kennt das: Bestimmte Cocktails knüpfen sich an bestimmte Orte. So wie im Falle von MIXOLOGY-Chefredakteur Nils Wrage und dem Dry Martini. Heute offenbart er uns die fünf Plätze, die für ihn untrennbar mit diesem Cocktail in Verbindung stehen. Und zwar in Deutschland, nicht in London.
Es gibt noch immer keinen Cocktail, der so sehr stellvertretend für die Bar an sich steht wie ein schlichter Dry Martini. Es mag andere Drinks geben, die auch objektiv komplexer und interessanter sind; die mehr für das stehen, was Bar ursprünglich einmal war und was sie heutzutage alles sein kann. Dennoch bleibt diese Mischung aus Dry Gin, trockenem Wermut und vielleicht einem Dash Bitters so ikonisch, so klar, so präzise in ihrer Erscheinung, dass alle anderen Drinks sich noch so sehr anstrengen können – sie verlieren.
Der beste Martini in Deutschland ist nur in einer Bar zu haben
Vor allem aber – so geht es jedenfalls mir persönlich – bedingt der Dry Martini, dass er wirklich in dem Ort namens Bar getrunken wird. Er will diesen Ort, er braucht ihn. Ein Negroni funktioniert hervorragend im Wohnzimmer, ebenso ein Whiskey Sour als Auftakt zum heimischen Barbecue. Daiquiris sind auf der eigenen Terrasse an einem frühen Sommerabend unschlagbar, und Tom Collins oder Gin & Tonic schmecken sogar im holzvertäfelten Partykeller. Ein Dry Martini Cocktail ist anders. Er braucht die Bühne des Bartresens, die Luft einer Bar, das nicht physisch nachweisbare Knistern dieses Platzes. Ich habe ein paar Mal versucht, zuhause einen Dry Martini zu mixen und zu trinken. Das Mixen hat gut geklappt. Aber der schmeckt zuhause einfach nicht. Jedenfalls nicht so, wie er soll.
Daher ist es noch immer so, dass ich regelmäßig auch im Jahre 2019 an vielen Bars eher einen Dry Martini ordere als einen Signature von der Karte. Nicht, weil er für mich ein Testdrink wäre, ein Gradmesser für die Güte einer Bar. Sondern weil Bars und Dry Martinis für mich so sehr zusammengehören. Genau, Sie merken ganz richtig, das ist jetzt die Stelle, an der man sich aufregen darf: »Was, der Chefredakteur trinkt lieber einen Martini anstatt im Sinne der Neugierde und der Recherche was Neues zu probieren? Rückständiges Revolverblatt!«
Die fünf persönlich besten Martinis – und fünf persönliche Geschichten
Und von fünf besonderen Dry Martinis, die meine Gin-und-Wermut-Vita in Deutschland geprägt haben, möchte ich erzählen. Einfach, weil sie alle fünf wunderbar waren. Und – das jetzt in Richtung jener, die dem Martini Eintönigkeit und Einfalt vorwerfen – weil sie so alle fünf so herrlich eigenständig und unverwechselbar waren.
5 Barempfehlungen für einen Dry Martini

Le Lion - Bar de Paris
Le Lion, Hamburg (ca. Ende 2010)
Viele werden sich daran vielleicht gar nicht mehr erinnern: Aber der heutige »Ober-Highballer« und Dr. Boilerman, Andrej Busch, stand am Anfang seiner Zusammenarbeit mit Joerg Meyer in den frühen Jahren des Le Lion hinter dem dortigen Tresen. So auch bei meinem zweiten Besuch, der mir in Sachen Dry Martini ein klein wenig die Augen öffnete.
Ich glaube, es war Tanqueray Ten mit Noilly Prat Dry und The Bitter Truth Orange Bitters (ich weiß es nicht mehr sicher, aber die damalige Zeit legt diese Kombination nah). Mit beeindruckender Präzision gerührt, mit ungeahnter Kälte abgeseiht – und dazu der Löwen-Signature-Serve: Der halbe Drink frisch in der Mini-Coupette von Libby, die andere Hälfte in der kleinen Karaffe auf Eis dazu gereicht, inklusive Zeste und Olive à part. Der Cocktail selbst texturell und aromatisch bis heute erhaben über jeden Zweifel. Eine Offenbarung in Sachen Dry Martini, die 99% aller Bartender nie erreichen werden. Er war viel zu schnell leer.
Gekkos, Frankfurt (Ende 2016)
Bis zu meinem ersten Dry Martini im Gekkos verging einiges an Zeit, und das, obwohl mich – Offenlegung hiermit geliefert – mit Bar Manager Gabriel Daun eine lange, enge Freundschaft verbindet. Als ich den Drink dann endlich doch vor mir auf dem Tresen stehen sah, war klar: Die wissen da, in dieser lauten, krachigen Bar, eben auch genau, wie die leisen Töne funktionieren. Wie immer im Gekkos-Style: schnörkellos, ohne Beiwerk, ohne Garnitur – lediglich leicht mit Zitrone abgezestet.
Viel interessanter, auch weil Gekkos-untypisch: Eigentlich viel zu »wet«, um ein Dry Martini zu sein. Hatten Daun und ich doch immer wieder über unsere Vorliebe für nicht ganz so »stiffe« Martinis gesprochen: Generöser Einsatz von Wermut, auch der gewisse Dash mehr Orange Bitters. Dafür aber aufgefangen durch die Wacholderkeule des Plymouth Gin. Ein grandioser Martini, rund, mild, cremig, aber dennoch aromatisch und erwachsen. »Mühelos«, könnte man wohl auch sagen.

Gekkos Bar
Dry Martini Cocktail
Zutaten
6 cl Dry Gin
2-3 cl trockener Wermut
1 Dash Orange Bitters
Ciba Mato, Stuttgart (Frühling 2015)
Es gibt Cocktails, die erhalten ihre Bedeutung auch im Laufe der Zeit und durch die damit einhergehenden Veränderungen. So wie mein Dry Martini aus den Händen von Adrian Schulz im krassen Trubel des mittlerweile geschlossenen Ciba Mato an einem Frühlingstag. Es war ohnehin ein grandioser Martini: steif, ehrlich, stilsicher, knackig und durchaus recht »heavy on the Gin«. Keine Embury-Rezeptur, aber nah dran. Mit Beefeater, meine ich mich zu erinnern.
Als Mitte November 2018 bekannt wurde, dass Adrian Schulz nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben war, musste ich unter anderem wieder an jenen Abend bei ihm denken, als er diesen großartigen Dry Martini serviert hat. Wie immer mit der halb in die Stirn fallenden Locke des Scheitels und dem warmen, schrägen Grinsen, das erzählen wollte: »Hab’ ich nur für Dich gemacht.« Er wusste einfach, wie man’s macht. Sowohl Drinks mixen als auch ein Gastgeber sein.
Buck & Breck, Berlin (immer wieder)
Da haben wir’s jetzt: Ins Buck & Breck gehen und immer wieder Martinis trinken, das ist doch so, als äße man im besten italienischen Restaurant des Landes immer nur und immer wieder Ossobuco, würden böse Stimmen meinen. Denen antworte ich: Genau. So ist das.
Wenn es nun jedoch gleichzeitig so ist, dass es dieses eine, ganz spezielle Ossobuco eben aber wirklich nur da in dieser Form und dieser unheimlichen Weltklasse gibt, dann geh’ ich da eben immer wieder Ossobuco essen. Der Dry Martini im Buck & Breck ist mit ziemlicher Sicherheit der Beste, den ich je getrunken habe. Er ist erwachsen, geradlinig, komplex, knochentrocken und crisp. Welche Zutaten da genau reinkommen, habe ich nie nachgefragt. Man sieht ja nicht, was sie dort verarbeiten. Aber eine Frage danach wäre dem Ort auch nicht angemessen. Man muss den Martini einfach bestellen. An diesem auch nach vielen Jahren noch immer einzigartigen, besonderen Ort, den Gonçalo de Sousa Monteiro in der Mitte von Berlin erschaffen hat.

Buck & Breck
Brunnenstraße 117
10119 Berlin
Mo - So ab 19 Uhr, im Sommer ab 20 Uhr

Booze Bar
Boxhagener Straße 105
10245 Berlin
Mo - Do 19 - 02 Uhr, Fr & Sa 19 - 05 Uhr, So 19 - 01 Uhr
Booze Bar, Berlin (Winter 2015/16)
Ein großes Problem des Dry Martini: Er wird häufig mit einem bestimmten Typus Bar assoziiert. Britische Grandhotelbar, ick hör Dir trapsen. Dass das ein blöd-sinniger, unzeitgemäßer Irrtum ist, beweist – wie sie auch sonst so viele Klischees widerlegt – die Booze Bar von Lutz Rau in Friedrichshain.
Denn auch dort, wo man unter den Augen von Terence Hill, Bud Spencer und sonstigen Konsorten vom wohl sympathischsten Barteam der Hauptstadt durch die Nacht begleitet wird, gibt es einen sagenhaften Dry Martini. Fernab jeder verschroben-pseudoeleganten Ohrensessel-Noblesse servieren die Booze Boys einen knackigen, frischen Martini, der einmal mehr die Tatsache untermauert, was für eine grandiose Cocktailbar dieser unkomplizierte Laden inmitten der Saufnachbarschaft rund um den »Boxi« eigentlich ist. Gehen Sie also für einen exzellenten Martini nicht ins The Connaught. Besser in die Booze Bar. Die machen dort einen mindestens genauso guten Drink. Aber mit weniger Show. Dafür mit Herz.