Die Bar Zentral am S-Bahnhof Zoologischer Garten ist eine Institution – aber eine stille. Neben Bars, die durch Auszeichnungen oder besonders viel gereiste oder Social-Media-aktive Bartender:innen mit Bekanntheit glänzen, fällt die Zentral durch Zurückhaltung auf. Ein Ort, an dem der Hype-Train bitte direkt vorbeizieht und der gezielt auf Zeitlosigkeit setzt. Das gleich im doppelten Sinne, wenn es nach Gründer Torsten Bender geht: „Wir wollen, dass die Zeit hier drinnen etwas langsamer tickt – und das, ohne dass man in Nostalgie verfällt. Wir wollen eine entschleunigte Bubble bieten, die dabei zeitgemäß und zugleich trendunabhängig bleibt.“
Ende August 2025 wird die Bar Zentral zehn Jahre alt – ganz schön beeindruckend für den schnelllebigen Hauptstadt-Gastrokosmos. Da kann man auch mal eine kleine Ausnahme von der Zurückhaltung machen und das Schlaglicht auf die beiden Gründer, Sebastian Mathow und Torsten Bender, richten.
Unter den Bögen müssen die Nächte grenzenlos sein
„Vielleicht doch mal was Eigenes, und wenn, dann mit großen Fenstern zur Außenwelt“ – so nahm die Vision für die Zentral ihren Anfang, erzählt Gründer Torsten Bender. Die Fenster waren den Betreibern Bender und Mathow deshalb so wichtig, weil beide bis zur ersten eigenen Bar rund acht Jahre in der (fast) fensterlosen Green Door gearbeitet hatten. Bei der Location unter den S-Bahngleisen war es dann Liebe auf den ersten Blick.
In der Bar Zentral rattert die S-Bahn alle paar Minuten verlässlich und beruhigend über die Bar hinweg. Hier ist man mittendrin und dennoch außen vor. Direkt nebenan hat nach wie vor die The Hat Bar geöffnet, eine Jazzbar ihres Zeichens, und etwas weiter vorne gibt es mit der Lotte einen verlässlichen Bier-Ort. Somit hat sich ein eigener kleiner Barkosmos an den S-Bahnbögen gebildet – die Gäste haben die Wahl.
Als eine der ersten und verlässlichsten Bars läutet die Zentral die Nacht ein – und das jeden Tag schon ab 17 Uhr. „Wir dachten, wir sind ja auch keine soziale Einrichtung, da muss man da sein für die Gäste“, erklärt Torsten Bender diesen Umstand und lächelt.
Diese Entscheidung hat aber auch mit seiner internationalen Erfahrung zu tun: „Wenn man um 17 Uhr eine Bloody Mary gebraucht hat, war das in Berlin nicht leicht zu finden. Ich habe davor lange in New York gelebt und gearbeitet. Da war es üblich, dass man sich auch mal um 15 Uhr trifft und einen Martini trinkt. Das hat hier sehr gefehlt. Deshalb wollten wir das mit unserer Bar ausprobieren. Weil das eben nicht typisch für Berlin ist, hat es zwei Jahre gedauert, bis die Gäste das angenommen haben.“


Was hat sich getan?
Vor der Bar befand sich ein Jeansladen in den Bögen, daher dauerte es ganze neun Monate Bauzeit, bis die ersten Gäste Ende August 2015 über die Schwelle treten konnten. Für das ikonisch-elegante Interieur der Zentral zeichnet das Berliner Designstudio Hidden Fortress verantwortlich – ein Team mit Gespür für Bar-Welten. Auch das Kink und das Buck & Breck gehören zum überzeugenden Portfolio.
Zehn Jahre später hat sich die Zeitlosigkeit des Hidden Fortress-Designs bewiesen, bestätigt Sebastian: „Ich wurde im Laufe der Jahre eher positiv überrascht. Der Raum hat der Zeit standgehalten, nichts nervt – weder die Gäste noch der Raum selbst. Ich finde, da hat sich über die Jahre etwas Schönes aufgebaut, und man ist selbst immer noch gerne Gast hier.“
Das stimmt: Der Tresen ragt in den Raum, hat mittlerweile Patina angesetzt, und nur er weiß, wie viele Drinks über die Jahre über ihn gewandert sind.
Apropos: Trinken die Gäste wie vor zehn Jahren oder anders? Nicht ganz, erklärt Torsten: „Ich finde, das war Anfang der 2010er-Jahre in den Bars ähnlich wie mit der Musik: Es wurde in den Bars sehr minimalistisch – mit Drei-Komponenten-Drinks wie Sazerac und so weiter –, eben passend zum Minimal-Techno. Und das wurde dann in den letzten Jahren 'house-ige'‘, also verspielter. Ich glaube, die Ernsthaftigkeit ist etwas raus, was ich als positiv empfinde. Man geht mit einer anderen Leichtigkeit in eine Bar und nicht mehr, als würde man in die Kirche gehen und müsste jeden Tropfen diskutieren.“
Die Gäste wissen jetzt auch mehr, fügt er hinzu: „Die Gäste haben mit den Bars mitgelernt, würde ich sagen. Am Anfang haben wir mehr Aufbauarbeit geleistet, und das ist jetzt anders.“
Leichter ist es in der Zentral allerdings nicht geworden – trotz des Low- und No-ABV-Trends, erklärt Sebastian: „Es ist Teil unserer Stilistik, dass wir eher stärker mixen, mit Fokus auf die Basisspirituose. Unsere Drinks sind eher kräftig angesetzt, das wissen unsere Gäste auch.“
Und wer es nicht weiß, wird informiert: Neben den Cocktailnamen, Preisen und Zutaten findet sich auf der Karte auch eine Grammzahl, die über den Alkoholgehalt informiert. Das ist ein kleines Nicken in Richtung eines der Lieblingsbücher der Bargründer: Die Reise nach Petuschki. Dort wird ausschließlich in Grammzahlen erzählt, was die Protagonisten trinken.
Hier trinkt man heimlich Piña Coladas
Zu den absoluten Favoriten der Gäste gehören der Empathy Booster und Captain Future. Etwas weiter hinten auf der Karte finden geneigte Barbesucher auch immer ein paar Tiki-Varianten – ein Überbleibsel aus der Zeit im Green Door, das für immer Teil der Zentral bleiben soll.
Die Piña Colada ist einer dieser Drinks. Und auch wenn ernsthafte Trinker sich andernorts nicht einmal in die Nähe der Ananas wagen würden, ist das in der Zentral eine Ausnahme. Aktuell findet sich eine nahe Verwandte, die Piñata, auf der Karte, aber vielleicht kehrt das Original im Sommermenü zurück. Mit rund 50 Eigenkreationen und stetigen Neuzugängen wechselt die Karte nämlich etwa dreimal im Jahr.
Lieber low-key
Neben dem Tresen fällt der blau schimmernde Schriftzug „disappear here“ ins Auge. Für alle, die sich gefragt haben, was dahintersteckt: Es ist ein Zitat von Bret Easton Ellis, dem Schriftsteller von unter anderem American Psycho. Das Zitat taucht an vielen Schlüsselstellen seiner Bücher auf und hat Torsten Bender damals inspiriert, die Gäste zum Entschwinden aufzurufen.
Zum Entschwinden muss man die Bar jedoch erst einmal finden – und das macht die Zentral ihren Besucher:innen erst seit wenigen Jahren leicht. Torsten erklärt: „Wir haben erst seit fünf Jahren ein Schild draußen. Wir wollten von Anfang an keine Walk-ins anziehen, sondern einfach nur, dass die, die die Bar suchen, sie auch finden können.“ So, wie es sich für eine stille Institution gehört
Zurück ins Jahr 2015: Wie war es eigentlich am ersten Tag? Unvergesslich, erzählt Sebastian: „Wir haben alles ewig geplant, dann ging uns das Geld aus mit der Baustelle, und dann kam der Moment der Eröffnung – das werde ich nie vergessen: Ich war sehr nervös, in der ersten Schicht kamen Nico Krznar und ein paar andere durch die Tür, und ich dachte, ich spiele jetzt Bartender. Obwohl ich ja schon seit acht Jahren an der Bar gearbeitet habe. Du rührst da was, gibst den Negroni rüber, und irgendwann geben sie dir Geld in die Hand, und du denkst dir nur: krass, das funktioniert.“
Das funktioniert jetzt schon seit zehn Jahren. In der kommenden Dekade soll alles so bleiben, wie es ist – zum Glück. Da stimmt auch Sebastian zu: „Wir haben Corona überstanden, das war nicht ohne. Wir haben den Ort hier zehn Jahre aufgebaut, unsere Lehrjahre gezahlt und sind motiviert, die nächsten zehn Jahre zu bleiben. Das ist unser Lebenswerk hier.“
Das hört die Autorin gern. Und alle Stammgäste bestimmt auch.