Arnd Henning Heissen ist nach zwei Jahren wieder in Berlin angekommen. Und das mit einem Paukenschlag: Als Barchef des neuen Frederick’s steht er einem Ort vor, an dem sich der Potsdamer Platz in Zukunft messen lassen muss. Mit dabei hat er alte Tricks und neue Motivation. MIXOLOGY Online war vor Ort.
Als Arnd Henning Heissen um 17 Uhr die Tür zum Frederick’s am Sony Center öffnet, haben bereits fünf Menschen an der Tür gerüttelt und verzweifelt versucht, auf die elektronische Menükarte rechts vom Eingang zu „klicken“, um dann resigniert ein Bild vom Eingang zu machen. Für den „instagrammable“ Beweis, dort gewesen zu sein, reicht es fürs Erste.

Der Blick zurück: ohne Groll
Nein, das Frederick’s hatte gewiss keine Startschwierigkeiten, trotz seiner Lage. Denn so recht mit Flanierpublikum braucht man in der Bellevuestraße am Potsdamer Platz nicht zu rechnen, ausgenommen Hotelgästen und Touristen, die im Sommer am Mauerweg pilgern und im Winter Eislaufen am Weihnachtsmarkt. Apropos Hotel – nun ist es ja nicht so, dass es dem neuen Barchef Heissen an Erfahrung und Expertise mit dem Ort oder Hotelgästen mangelt, war seine letzte Station doch das Ritz Carlton, wo er vor bald zehn Jahren anheuerte und den Curtain Club bartechnisch an die Spitze zurückführte und zuletzt mit dem Fragrances garniert hatte: Das Ritz liegt genau auf der gegenüberliegenden Seite der Straße.
Nun könnte man den Eindruck gewinnen, es sei mit kompetitiven Gefühlen verbunden, die eine – gelinde gesagt – Wirkstätte hinter sich zu lassen und die neue nebenan zu öffnen. „Ist aber keineswegs so. Alex macht einen phänomenalen Job dort, wir schicken uns sogar die Gäste rüber, wenn eine Bar voll ist“, so Arnd Henning Heissen. Alex, das der jetztige Bar & Lounge Manager des Ritz-Carlton, Alexander Affeldt, bereits bekannt aus dem Ellington, Marriott, 25hours, InterContinental und Hilton. „Gerade auch das Fragrances war mein Brainchild, eine Form der Übergabe hätte hier keinen Sinn gemacht“, bestätigt Heissen. Affeldt habe an seinem neuen Tresen freie Hand zur kreativen Entfaltung, im Fragrances haust derzeit außerdem das Pop-Up Sushi Delivery GO von Steffen Henssler.


Pandemische Wanderjahre in Hamburg
Der Pandemie geschuldet und gedankt, kam es aber nicht zum nahtlosen Übergang ins Frederick’s, sondern zunächst zu zwei Wanderjahren, vornehmlich in Hamburg. In Partnerschaft mit Leonard Orosz Clockers und Thomas Lang hat er das Home-Projekt entwickelt: Bottled Drinks, die als Signature Drinks im Sommer erscheinen werden.
Außerdem hat er sich durch diverse Brände und Geiste durchgetrunken und daraufhin seinen eigenen Tequila Blend mit unter anderem Yuzu, Ingwer, Bergamotte, Mandarine und Salz kreiert, namentlich „Luneoir“. Zusätzlich entwarf er einen Signature Drink für die nahe gelegene Brlo-Brauerei und deren jüngste Berliner Erdbeer-Weisse mit Erdbeeren vom bekannten Karls Erdbeerhof.
Arnd Henning Heissen brachte diese Ideen also mit nach Berlin, wo er mit der Rhubarb Hospitality Collection mit Sitz in London anbandelte, die eine Eröffnung des Frederick’s in den seit 2018 leerstehenden Räumlichkeiten des ehemaligen Hotel Esplanade im Auge hatten.

Frederick's Berlin
Düfte, die alte Leidenschaft
Und so kam es auch. Die Bottled Drinks finden in Form der Lieblingsparfüms seiner Crew im Backend der Bar statt. Bartenderin Kristin beispielsweise kommt aus einem Dorf im Westerwald, wo ihr Vater in der Birkenhof Brennerei Hand anlegt, die unter anderem eine famose „Alte Marille“ brennt. Ihr Bottled Drink Matcha Mate setzt sich aus Kindheitserinnerungen und ihrem Lieblingsduft zusammen, er beinhaltet Aprikose, Matcha, Mate, Weizengras, Verjus, Honig und Vanille. So bekommt jeder seiner MitarbeiterInnen peu à peu seinen Drink. Und das wird ein buntes Potpourri an Aromen, setzt sich das Team doch aus Menschen aus Brasilien, Berlin, Irland, Japan, Kanada, Rheinland-Pfalz, Spanien, Südamerika, Syrien und der Türkei zusammen.
In den Genuss solch personalisierter Drinks kommt allerdings nicht nur das Personal im Frederick’s, sondern auch der Gast. Wer etwa das Separee in der zweiten Etage bucht, kann dort seinen eigens für den Abend kreiertes „Parfüm zum Trinken“ genießen – hier wird also die Geschichte des Fragrances ausgebaut und weiter geschrieben. Marie le Febre von „Urban Scents“ hat ihn über essbare Zutaten des Odeurs seiner Wahl aufgeklärt, außerdem empfing er Parfümeure aus Paris, die Heissen mit bis dato für ihn unbekannten Zutaten wie etwa grünem Ingwer bekannt machten. Seine Destillate bezieht er vornehmlich aus der besagten Birkenhof Brennerei, der Deutschen Spirituosen Manufaktur, Spiritus Rex, Bader und dem Freimeisterkollektiv.
Zwischen Panda und Pandan
Wer es weniger separiert mag, gesellt sich ebenerdig zum Panda. „Meist sitzen sich Menschen, die zu zweit kommen, gegenüber. Wenn dann zwei Paare kommen, bleibt dazwischen ein Platz frei – auf dem sitzt bei uns der Mariachi-Panda“, erklärt Heissen und deutet auf den lebensgroßen Plüsch-Panda im maßgeschneiderten Mariachi-Anzug neben ihm: „Er verleiht Privatsphäre, wenn man sie braucht, er sorgt für Gesprächsstoff, sollte der mal ausgehen, und er schafft Kontakt, wenn man ihn denn herstellen will.“
Um das Herstellen einer Verbindung geht es Heissen insbesondere, wenn es zur Bestellung der Gäste kommt. Als hätte er es nach zahlreichen Reisen zu unterschiedlichen indigenen Kulturen und seiner langjährigen Erfahrung am Tresen noch nötig, hat Heissen während der Pandemie sich obendrein mit Farbtherapie beschäftigt. Das kann man durchaus bemerken.

Aufmerksamkeit ist der neue Kaviar
Die erste Karte hat sich daher Tiere vorgeknöpft. In Wahrheit weiß das Barpersonal im Frederick’s nämlich bereits noch vor dem ersten Drink mehr über die Gäste, als diese noch beim morgendlichen Aufstehen über sich selbst. Dein „Spirit Animal“ ist der Fuchs? Im Frederick’s weiß man Bescheid. „Oftmals sind es tatsächlich die Eigenschaften, die man im Volksmund oder in Märchen für Tiere verwendet.” Demnach wäre die Schlange listig, die Katze eigensinnig, und der Fuchs schlau? „Im Großen und Ganzen kann man das so sagen, ja”, so Heissen.
Genauso werden Farben bestimmten Stimmungen und entsprechend Geschmäckern zugeordnet, bestimmte Obst- wie Gemüsesorten wiederum entsprechenden Befindlichkeiten. Nun ist die entscheidende Frage natürlich, ob ich bestelle, was ich bereits bin – oder eher das, was mir fehlt? Die Antwort ist simpel und vergleichbar mit einem funktionierenden Organismus – im Optimalfall etwa dem menschlichen Körper. Denn wenn es sich nicht um Süßkram oder Drogen handelt, kann sich Mensch wie Tier relativ gut darauf verlassen, „wonach einem der Sinn steht“. Was der Körper möchte, versucht er sich zu holen, sei das Schlaf, eine schnelle Ration Kohlenhydrate oder eben Fisch: „Fisch ist ein hervorragendes Beispiel – wer viel im Dunklen arbeitet, hat Lust auf Lachs, weil da eben auch Vitamin D vorkommt, wie in der Sonne”, so Heissen.
Will sagen, Körper und Geist wissen, was sie wollen, auch wenn unser Gehirn noch keine Ahnung hat, in welcher Form. So besteht die aktuelle Karte aus abstrakten und eigens entworfenen Bildern. Aufgrund seiner farbpsychologischen Lektüre ordnet Heissen das spontane Liebäugeln mit einem Bild einem bestimmten Bedürfnis und diesem wieder entsprechenden Zutaten und deren Wirkung zu. Wen also etwa das dramatische Bild anlacht, das auch das Cover von Nietzsches “Zarathustra” sein könnte, der bestelle den „Primal Fear“ aus Vodka, Sake, Vetiver, Eau de Vie, Limette, Ginger Ale und Bergamotte-Tonka-Sirup.
„Wir zelebrieren Aufmerksamkeit als die neue Form des Status. Früher symbolisierten teure Zutaten wie Champagner Kaviar Luxus, bei uns ist das die Beschäftigung mit dem Gast und seinem Befinden. Wir wollen inständig, dass es ihm nach seiner Zeit im Frederick’s besser geht als vorher”, so Arnd Henning Heissen – ein nobler Wunsch.
Wieder voll und ganz angekommen
Jetzt aber wirklich nochmal die nach Paradiesapfel duftende Pandahand aufs Herz: Gibt es da wirklich gar kein Gefühl der Genugtuung, wenn der Laden am Abend zum Zerbersten voll ist, wohingegen im Ritz-Carlton lediglich ein paar Hotelgäste lungern? „Erstens passiert das so nicht, denn der Ort kann sich auf seine Liebhaber der Livemusik verlassen, zweitens nein. Dadurch, dass wir die einzigen beiden Bars am Potsdamer Platz sind, machen wir die Gegend auch für ein Barpublikum spannend, das nicht gezielt kommt. Wir leihen uns Champagner, wenn es eng wird, und trinken beim anderen Afterwork-Drinks.“
Zum Beweis hält er einen „First Class“-Bogen aus dem Ritz-Carlton entgegen, auf dem „I love Frederick’s. Für Arnd.“ steht. Auch ein anschließender Besuch bei Brlo zeigt: Seinen Tequila-Drink mit Erdbeer-Weisse gibt es bereits und selbst das Bier-Publikum liebt ihn. Arnd Henning Heissen scheint also mal wieder einen Treffer gelandet zu haben.
Ziemlich sicher ein Adler.