Der in den USA tätige Geschichtsprofessor Philipp Stelzel hat ein Cocktailbuch geschrieben. „The Faculty Lounge“ ist kein Fachbuch für Barprofis, aber das vielleicht unterhaltsamste, humorvollste Bar-Buch seit längerer Zeit. Im Interview mit MIXOLOGY Online erklärt er, wie es zu dem Werk kam.
Im August erschien „The Faculty Lounge“, das erste Cocktailbuch des deutschen Geschichtsprofessors Philipp Stelzel aus Pittsburgh. Darin geht es mitnichten um die hohe Kunst der aktuellen Mixologie. Dennoch ist das Buch auch für Profis lesenswert, denn es zeigt, wie eine humor- und liebevolle Auseinandersetzung mit Barkultur zu einem sehr unterhaltsamen Resultat und auch zu einem manchmal selbstironischen Schlaglicht auf den akademischen Betrieb führen kann. Wir haben mit Stelzel über die Entstehung und die Hintergründe des Buches gesprochen
MIXOLOGY: Lieber Philipp, Du lehrst im Hauptberuf Neuere Geschichte an der Universität von Pittsburgh. Seit wann interessierst Du Dich für Cocktails und Barkultur?
Philipp Stelzel: Das ist etwa zehn Jahre her. 2013 bin ich in Boston – wo ich damals gewohnt habe – eher zufällig in einer Hotelbar gelandet, dem Last Hurrah, die Whiskey-Bar im berühmten Parker House. Mit einem Old Fashioned fing alles an, bei den nächsten Besuchen habe ich mich dann langsam durch die umfangreiche Cocktailkarte getrunken. Damit, Cocktails zuhause zu mixen, habe ich erst nach meinem Umzug nach Pittsburgh begonnen, aber zunächst nur Rye Manhattans, Gin Martinis und Negronis.
MIXOLOGY: Ist das Interesse eine Konsequenz Deiner Tätigkeit in den USA, wo ja eine grundlegende Form von Cocktailkultur insgesamt präsenter ist?
Philipp Stelzel: So direkt würde ich es nicht formulieren. Wie oben erwähnt, verlief meine Einführung in die Cocktailkultur eher zufällig und graduell. Und während meiner ersten zehn Jahre in den USA habe ich mich auf Gin & Tonics beschränkt.
»Das Posten der Rezepte und Fotos der Drinks in den sozialen Medien war auch ein willkommener Weg, in einer Zeit der sozialen Isolation mit anderen Menschen in Kontakt zu bleiben. Dass daraus ein Buch werden könnte, hätte ich allerdings nicht erwartet.«
— Philipp Stelzel
MIXOLOGY: Dein Buch erweckt den Eindruck, dass Du Dich – wie so viele Menschen – während der Corona-Lockdowns praktisch gezwungenermaßen zum Home-Bartender entwickelt hast. Trifft das zu?
Philipp Stelzel: Ja und nein. Eine kleine Bar hatte ich schon davor zuhause, und einige wenige Cocktails habe ich auch davor schon für Freunde und mich selbst gemixt. Andererseits: Den ersten Cocktail, der es in The Faculty Lounge geschafft hat, habe ich am 16. März 2020 gemacht, als unsere Universität gerade zum Online Teaching übergegangen war.
MIXOLOGY: Wann entstand die Idee, aus Deinen privaten Trink-Notizen ein Buch werden zu lassen?
Philipp Stelzel: Die Idee zum Buch war gar nicht meine eigene! Zu Beginn der Pandemie hatte ich eines Nachmittags Lust auf einen Cocktail, wollte aber etwas Neues ausprobieren. Nachdem ich Bourbon, ungesüßten Cranberrysaft und Grenadine zuhause hatte, verrührte ich diese Zutaten in einem Rührglas auf Eis und servierte den Cocktail dann straight-up mit einer Orangenzeste – und nannte ihn The Social Distancer. Weil mir der Cocktail schmeckte und ein Foto davon einige Freunde und Kollegen in den sozialen Medien amüsierte, setzte ich das Experiment am nächsten Tag fort: Online hatte ich einen Foto-Post gesehen, in dem jemand seinen Gin Martini als Quarantini bezeichnete. Angeregt davon, mixte ich einen eigenen Quarantini, indem ich einem Dry Gin Martini einen Schuss Absinth zufügte. Warum? „Because I had it by myself, while everyone else was absinthe…“
MIXOLOGY: Und das hat sich dann verselbstständigt?
Philipp Stelzel: Ja, in ähnlicher Weise ging es den Rest des Semesters weiter. Jeden Werktag zwischen 17 und 18 Uhr dachte ich mir ein Rezept aus und gab ihm einen Namen, der mit der Thematik zusammenhing, inwiefern die Pandemie die Arbeit an der Universität verkompliziert. So entstanden The Canceled Conference, The Inaccessible Archive, The Remote Instructor, The Self-Isolation Productivity Angst und natürlich The Cogito Ergo Zoom. Am Ende des Frühjahrssemesters im Mai hatte ich eine Liste von rund 30 Cocktails. Das Posten der Rezepte und Fotos der Drinks in den sozialen Medien war auch ein willkommener Weg, in einer Zeit der sozialen Isolation mit anderen Menschen in Kontakt zu bleiben. Dass daraus ein Buch werden könnte, hätte ich allerdings nicht erwartet.
»Ob das Buch auch für Bartender spannend sein könnte, kann ich schlecht beurteilen. Diejeningen, mit denen ich befreundet oder bekannt bin, interessieren sich bislang schon dafür. Aber das liegt wohl (auch) daran, dass sie den Autor kennen.«
— Philipp Stelzel
MIXOLOGY: Wie kam es dann doch dazu?
Philipp Stelzel: Kurz vor Beginn des Herbstsemesters Ende August postete ich dann einen Thread mit meinen 25 Lieblingsrezepten auf Twitter. Da uns nun ein weiteres pandemisches Semester bevorstand, kämen ein paar passende Cocktailrezepte vielleicht zur rechten Zeit, dachte ich mir. Zu meiner Überraschung löste dieser Thread ein großes Echo aus und er wurde einige tausend Male geteilt. Etwa zwei Wochen später schrieb mir eine Lektorin von der Indiana University Press, also dem Verlag der Indiana University in Bloomington, eine Mail: Sie habe meinen Thread gesehen und wolle nun wissen, ob ich an einem Gespräch über ein Cocktailbuch-Projekt interessiert sei. Wir waren uns dann sofort einig, dass es in diesem Buch um das akademische Leben insgesamt gehen sollte, so dass die Kapitel nun jeweils unterschiedliche Aspekte davon behandeln. Und zu jedem Cocktail gibt es eine „Tasting Note“ bzw. einen Hinweis. Bei The Presidential Platitude, einem von den oft zu hörenden, hohlen Phrasen der Uni-Verwaltung inspirierten Gin-Cocktail, heißt es etwa: „Enjoy, and please know how much I appreciate your willingness to go that extra mile on behalf of our university family during these trying times.”
MIXOLOGY: Dazu passend die Frage: The Faculty Lounge beleuchtet auf extrem humoristische Weise den akademischen Betrieb mit seinen Gepflogenheiten, Hierarchien und Mechanismen. Ist das Buch Deiner Meinung nach auch für Leute ohne akademischen Hintergrund unterhaltsam?
Philipp Stelzel: Bislang habe ich die Erfahrung gemacht, dass das Buch zumindest teilweise auch einige Leute ohne akademischen Hintergrund anspricht. Die Problematiken, die ich z.B. im Kapitel „For the Administrator“ persifliere, scheinen auch in anderen Arbeitsbereichen zu existieren.
MIXOLOGY: Aus mixologischer Perspektive wird ein professioneller Bartender in Deinem Buch nichts finden oder lernen, was er nicht schon vorher wusste. Gibt es für Dich Gründe, weshalb das Buch auch für hauptberufliche Bartender spannend sein könnte?
Philipp Stelzel: Ich habe die Rezepte bewusst einfach gehalten, und zwar aus zwei Gründen: Erstens habe ich selbst nie als Bartender gearbeitet oder einen Mixologie-Kurs belegt. Zweitens wollte ich kein Buch schreiben, bei dem man für die meisten Cocktails ausgefallene Zutaten kaufen muss. Ein gut sortierter Liquor Store und ein ebensolcher Supermarkt sollten ausreichen. Ob das Buch auch für Bartender spannend sein könnte, kann ich schlecht beurteilen. Diejeningen, mit denen ich befreundet oder bekannt bin, interessieren sich bislang schon dafür. Aber das liegt wohl (auch) daran, dass sie den Autor kennen.
»Ich verstehe The Faculty Lounge als Satire des akademischen Lebens, bei denen Cocktails respektive ihre Namen als Vehikel für den Humor fungieren.«
— Philipp Stelzel
MIXOLOGY: An einigen Stellen schimmert durch, wie wichtig das Phänomen Social Drinking auch im wissenschaftlichen Betrieb ist. Will das Buch damit ein wenig kokettieren? Mit Alkohol als sozialem Schmierstoff?
Philipp Stelzel: Ich glaube nicht, dass man Social Drinking als allgemein im wissenschaftlichen Betrieb wichtig bezeichnen kann. Auch deshalb habe ich ein paar Mocktail-Rezepte in das Buch aufgenommen. Und ich verstehe The Faculty Lounge als Satire des akademischen Lebens, bei denen Cocktails respektive ihre Namen als Vehikel für den Humor fungieren.
MIXOLOGY: Ernsthafte wissenschaftliche Forschung rund um Bars und Cocktails existiert praktisch nur in marginalen Grundzügen und wird nur von einer handvoll Menschen wirklich ernsthaft betrieben – von einigen „nur“ im Nebenjob oder gar als Hobby. Du bist selbst im Bereich Geschichtsforschung tätig. Kannst Du Dir Gründe vorstellen, weshalb es im akademischen Rahmen praktisch keine Auseinandersetzung mit der Materie gibt?
Philipp Stelzel: In der Geschichtswissenschaft hielten sich sehr lange traditionelle Vorstellungen, welche Themen als vermeintlich relevant und seriös anzusehen seien. Ich vermute stark, dass es daran liegt. Mein Eindruck ist ebenfalls, dass in diesem Bereich vor allem Menschen mit anderen Berufen tätig sind. Vor kurzem habe ich Philip Greenes The Manhattan: The Story of the First Modern Cocktail von 2016 gelesen, das gründlich recherchiert und gut geschrieben ist. Der Autor ist im Hauptberuf Anwalt.
MIXOLOGY: Könntest Du Dir denn vorstellen, Dich künftig als Forschender mit dem Gebiet zu befassen?
Philipp Stelzel: Ich habe zwar schon eine Idee für ein Nachfolgeprojekt zu The Faculty Lounge. Daran, im Bereich der Cocktail-Historie zu forschen, habe ich allerdings – bislang – noch nicht gedacht. Aber vielen Dank für die Anregung!
MIXOLOGY: Lieber Philipp, danke für das Interview.
The Faculty Lounge ist seit dem 15. August erhältlich und auch regulär über den deutschen Buchhandel (z.B. über Hugendubel) bestellbar.
Zur Person:
Philipp Stelzel ist in München geboren und aufgewachsen. Dort studierte er ab 1998 Neuere Geschichte, bevor er sein Studium in New York und Chapel Hill/North Carolina fortsetzte. Seit 2004 lebt er vollständig in den USA. Zur Cocktailkultur als privater Leidenschaft fand er zufällig. Aktuell lehrt und forscht der 45-Jährige als Associate Professor an der Duquesne University in Pittsburgh/Pennsylvania auf dem Gebiet Europäischer und Transatlantischer Geschichte mit Schwerpunkt auf dem 20. Jahrhundert. Mehr Informationen über Stelzel gibt es hier.