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Hochstapler, Bartender oder Mixologe?

Ein kritischer Artikel von Ross Gardiner auf dem Genussportal „The Savory“ erregte kürzlich die Gemüter von Bartendern und Connaisseurs. Darin nennt der Autor sechs Gründe, warum die Bezeichnung Mixologe für einen Bartender eine Anmaßung sei. MIXOLOGY ONLINE beleuchtet eine alte Debatte, die aber immer noch für Aufsehen sorgt und kapert den Logos für die Bar.

Der Begriff des Mixologen  habe „zu sterben“, fordert Ross Gardiner. Wer solche starken Worte wählt, muss sich keine Sorge um fehlende Resonanz machen. Nachdem wir den Artikel auf unserer Facebook-Seite zugänglich gemacht hatten, folgte ein enorm starkes Echo in den Kommentaren. Da unser Verlag und unsere Medien ja ebenfalls mit dieser Bezeichnung an die Öffentlichkeit gehen, wollen wir einmal die Argumente sichten. Sowohl die des Artikels, als auch die unserer Leser.

Führen wir die Bezeichnung „Mixologe“ oder den Titel „Mixology“ mit Berechtigung? Interessant war in der Diskussion auf Facebook die emotionale Getroffenheit, die sich aber überwiegend in sachlichen Kommentaren niederschlug. Das ist umso erfreulicher, da dies ja bekanntlich nicht immer gelingt, wenn man sich kritisch mit dem Berufsstand des Bartenders auseinandersetzt. Big Point.

Von Mixologen und Arschlöchern

Zunächst muss klar gesagt werden, dass der Beitrag von Ross Gardiner argumentativ wenig durchdrungen ist. Es handelt sich eher um eine mit Augenzwinkern vorgetragene Provokation. Die Hauptargumente sind, man solle sich nicht durch anmaßende Namensgebung wichtiger machen als man ist und den Fokus auf den Service legen. Er mokiert sich über die Mixologen-Mode, die sich historisch gibt – mit Schnurrbart, Hosenträger und Fliege. Das Aufkommen neuer Tools und Arbeitstechniken habe dem Bartender wohl Flausen in den Kopf gesetzt und im Zuge dieses Höhenfluges habe er sich neu erfunden als Mixologe und als Arschloch, der das Wesentliche vernachlässige. Stattdessen solle er einfach Drinks machen: „You tend a bar. Be proud of that“.

Sagt er uns etwas Neues? Nein. Alle Negativeigenschaften haben wohl nichts mit der selbst gewählten oder von außen zugeschriebenen Bezeichnung der eigenen Tätigkeit zu tun. Sie sind eher eine Frage des Charakters und der Berufsauffassung.

Keine Wissenschaft

Ähnlich verhielt es sich in den Kommentaren hierzu. Die Meinungen waren geteilt. Aber es kamen auch noch Argumente hinzu. Von Demut vor dem Beruf und dem Gast ist hier die Rede. Davon, dass sich jene, die sich als Mixologen bezeichnen, arrogant über andere erheben würden. Und, sehr interessant: Die Endung –loge oder -logie würde insinuieren, dass es sich beim Bartending um eine Wissenschaft handle. Es sei eher Handwerk mit Affinität zur Kunst. All dem ist nicht zu widersprechen. Allerdings würde ich nicht von Demut sprechen. Das ist mir zu defensiv und beinahe religiös aufgeladen. Respekt und Leidenschaft für die eigene Arbeit und für den Gast scheinen mir angebrachter. Und Selbstbewusstsein.

Andere wiederum wollten alle Bezeichnungen gelten lassen. Hauptsache Kompetenz, Service und Gastgeberschaft seien im Gleichgewicht. Mit anderen Worten, die ganze Debatte dreht sich ein wenig im Kreis und wurde schon öfter geführt – erregt aber scheinbar immer noch die Gemüter.

Tender, Logos und die Erzählung

Kehren wir zurück zu den Begriffen. Im englischen „tender“ stecken sowohl im Verb wie im Adjektiv „mit jemanden liebevoll umgehen“, „jemand etwas anbieten“. Und der „Tender“ ist auch der Hüter. Der Hüter der Bar und des Gastes. Man übernimmt also Verantwortung für sein Gegenüber. Ich halte das für eine sehr schöne Beschreibung für das, was ein Bartender tut. Er nimmt seinen Gast in Obhut und tut ihm Gutes – wenn es der Gast auch nicht immer zulässt.

Mit Logos wird gewöhnlich Logik, Vernunft und Wissenschaft assoziiert. Das ist aber nicht ganz richtig. Hinter diesem altgriechischen Begriff steckt auch „Wort“, „Sinn“, „Erzählung“ und Goethe lässt Faust noch über den Logos als „Kraft“ und „Tat“ nachdenken. Bartender erzählen Geschichten. Sie beschäftigen sich mit alten Rezepten, der Historie von Spirituosen und Rezepten, sie forschen nach Altem und übersetzen es in Neues. Sie geben ihrer Arbeit einen Sinn, indem sie nicht nur Getränke herstellen, sondern diese in einen Kontext stellen. Selbst zur Wissenschaft lässt sich ein Bezug herstellen. Wenn man daran denkt, wie eigene Rezepte entstehen, Essenzen und Aromen beinahe unter Laborbedingungen entstehen, neue Verfahrenstechniken in die Bar integriert werden wie Aging, Molekulardrinks, Foodpairin, oder Sous-Vide-Auszüge, dann ist das sicherlich noch keine Wissenschaft, folgt aber deren Impuls, wie auch einer der Foristen anmerkte. Kraft und Tat sind ohnehin inbegriffen.

Auch das MIXOLOGY Magazin und MIXOLOGY ONLINE nehmen für sich in Anspruch, die Geschichte der Barkultur in ihrem Variantenreichtum und ihrer Komplexität zu erzählen. Seien wir also selbstbewusst, kapern wir den Logos. Es gibt gute und schlechte Bartender. Aber jeder gute Barmann darf sich ruhig Mixologe nennen, so lange er nicht vergisst, dass er vor allem Tender ist. Er muss es ja nicht erzählen.

 


 

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