Vertreter

„Ich hab' Euch mal was mitgebracht!“

Loriot hat ihn schon vor langer Zeit in all seiner Penetranz verewigt: den Vertreter. Heute heißt er meist Außendienstler oder so. Furchtbar ist sein Besuch in einer Bar dennoch oft. Ein kleiner Denkzettel an all jene, die meinen, mit ihrer neuen Spirituose hausieren gehen zu müssen.

 „Hey, sag mal: Bist Du der Barchef?“ Diese Frage ist eigentlich vollkommen irrelevant, denn es ist Freitag Abend, halb elf, die Bar gerammelt voll. Hier stellt sich nicht die Frage nach einem Barchef, sondern nach einem Barteam, das eingespielt arbeitet und sich um seine Gäste kümmert. Wer der Barchef ist, sollte frühestens wieder in ein paar Stunden eine Rolle spielen, wenn es Zeit für Abrechnung und Bestellungen ist.

Vertreter in der Bar: Zwischen Nassforschheit und Devotesse

Für den Typen an der Tresenecke, der dort schon seit zehn Minuten dackeläugig steht, ist diese Frage jedoch die Welt, schließlich möchte er den Inhalt des von ihm mitgebrachten Beutels an den Barchef loswerden. Denn er ist ein Vertreter, er verkauft oder vertreibt eine Spirituose. Deshalb steht er jetzt hier, an der Bar, zwischen all den zahlenden Gästen und schaut den Bartender mit einer Mischung aus Nassforschheit und Devotesse an. Es kommt ihm nicht in den Sinn, dass der Augenblick seines Kommens eventuell ein wenig unpassend ist. Wie könnte es das auch sein, immerhin bringt er ja genau jenes eine Produkt, auf das die Barwelt im Allgemeinen und diese Bar hier im Speziellen sehnlichst warten. Nun also hin zu ihm. Ja, ich bin der Barchef.

„Wow, hier ist ja ganz schön was los bei Euch!“ Mit diesen Worten liefert er die Diagnose, die besagt, dass er quasi zum allerfalschesten Zeitpunkt überhaupt hier aufläuft. Aber er will ja genau jetzt hier sein. Die Szene! Die Leude! „Vielleicht hast Du ja aber trotzdem ein paar Minuten Zeit für mich …“

An diesem Punkt ist jeder gute, verantwortungsbewusste Bartender in einem klassischen Dilemma gefangen. Der Typ weiß das überhaupt nicht, er kann es sich nicht ansatzweise vorstellen. Doch der Bartender kann das. Denn einerseits ist die Sache klar. Hier und jetzt, am späten Freitag Abend, hat man definitiv keine Zeit, um sich das im schlimmsten Falle auch noch blödsinnige Geschwaller eines Vertreters anzuhören. Zumal es sich vielleicht um ein Produkt handelt, das eh gerade durch alle Kanäle der Bar-Äther rauscht.

Vertreter und Bar, eine Frage des Timings

Andererseits will man auch nicht namens der eigenen Bar gleich eine Watschen zurückschicken, schließlich und endlich mag es sich ja um ein gutes Produkt handeln, das die Arbeit spannender macht und – darauf kommt es ja letztlich an – sich mit gutem Gewissen und gewinnbringend den Gästen anbieten lässt. Nicht zuletzt tut sich jeder freundliche Gastgeber schwer damit, hier und jetzt den Genervten raushängen zu lassen. Nein, man wird das Problem irgendwie freundlich und nachhaltig lösen wollen. Man will dem Gegenüber ja auch nicht grundsätzlich übel nehmen, was er tut, er versucht eben, sein Produkt an den Mann zu bringen, es in den seiner Meinung nach wichtigen Bars zu etablieren – die jetzt gerade besuchte zählt also dazu.

Dennoch braucht es manchmal klare Worte. Denn dieses „Problem“ des Vertreterbesuchs, es besteht in der Tat. Es gefährdet nichts und niemanden ernsthaft. Außer vielleicht die Marken derjenigen, die auf diese Weise versuchen, ihre Spirituose auf die dargestellte Weise zu vertreiben. Im Laufe der Jahre haben mich immer wieder Bartender darum gebeten, diesen Sachverhalt einmal anzusprechen – und auch ich kann mich noch aus meiner langjährigen Barzeit an die entsprechenden, furchtbar nervenden und penetranten Visiten erinnern.

Appell an die Vertreter: Tretet rechtzeitig in Kontakt

Daher muss heute einfach ein kleiner Appell an all jene überengagierten Vertreter sein. Bitte: Geht nicht an einem knackevollen Wochenendabend in eine Bar und erwartet, dass dort jemand Zeit für Euch hat. Geht am besten gar nicht an irgendeinem Abend in eine Bar, um Euer Produkt zu verkaufen. Glaubt Ihr, ein Viehzüchter kommt zur Dinner-Zeit in ein Restaurant, um dem Küchenchef sein Black-Angus-Entrecôte zu präsentieren? Die Antwort ist eh klar.

Wenn man Euch sagt, dass keine Zeit für ein Gespräch sei, nehmt es angemessen hin. So, wie es sich eigentlich vollkommen von selbst erschließen würde. Werdet nicht auch noch frech mit Sätzen wie „Ich habe hier aber ein echt geiles Produkt dabei!“ Und fragt um Himmels willen nicht, ob Ihr den gerade anwesenden Gästen etwas von Eurem Produkt zum Probieren anbieten dürft (ja, auch solche Unverschämtheit gibt es wirklich)!

Es mag manchem Start-Up oder auch etabliertem Hersteller, der ein neues Produkt launcht, nicht klar sein, daher sollte man auch diesen Punkt noch einmal klarstellen: Ihr seid in dem obigen Szenario derjenige, der etwas verkaufen will. Ihr seid der Bittsteller. Tut nicht so, als ob die Bars auf Euch gewartet haben, sich nun geehrt fühlen müssen und sich auf Euer kommen einzustellen haben.

Anstatt am Wochenendabend mit teils unverschämtem Ton auf der Matte zu stehen, macht es wie andere Verkäufer in anderen Branchen. Fragt, ob seitens der Bar Interesse an Eurem Produkt besteht. Diese unsere heutige Zeit hält endlos viele elektronische und analoge Möglichkeiten bereit, auch dem öffentlichkeitsscheusten Barbetreiber auf die Pelle zu rücken. Wenn keine Antwort kommt, versucht es nochmal. Vielleicht noch ein drittes Mal. Wenn dann nichts zurückkommt: Arrangiert Euch mit der Tatsache, dass man in Bar XY eventuell schlicht und ergreifend kein Interesse hat (oder aber keine Mails liest). Wenn doch: Vereinbart einen Termin – die Bar wird Euch einen anbieten, der ein echtes Gespräch zulässt.

Als Vertreter Respekt für die Bar zeigen, die man besucht

Wenn ein Termin zustande kommt – der Barbetreiber oder sein Barchef sind dann so richtig für Euch da, nur für Euch, ohne 60, 80 oder 100 Gäste hinter sich! –, seid respektvoll. Ihr wollt, dass Euer Produkt ernstgenommen wird. Richtet Euch auf die Art der Bar ein. Was für Drinks werden dort serviert? Was für Gäste kommen dorthin? Was für Musik läuft? Gibt es dort auch Essen?

All das sollte die Art und Weise beeinflussen, wie Ihr Euer Produkt in einer spezifischen Bar platzieren wollt. Besucht sie also vorher schon, diskret und privat, schaut Euch um. Wer meint, in einem 20-Plätze-Speakeasy seinen neuen Partylikör mit Zimtgeschmack als Eskalations-Shot loswerden zu können, hat ohnehin nix verstanden.

Erklärt den Bartendern, was wirklich in der Flasche ist, erzählt ihnen nicht, was für ein sagenumwobenes Rezept dahintersteckt. Lasst Eure potentiellen Kunden probieren und verkosten. Sagt ihnen nicht vor dem ersten Schluck schon, wie Euer Produkt schmeckt. Bringt eine echte, ganze, unangebrochene Flasche zum Termin mit, die Ihr der Bar im Anschluss da lasst. Keine ömmeligen 5 cl-Samples oder irgendwelche Vor-Prototypen mit Etikett aus dem Tintenstrahldrucker. Die Bartender wollen die Flasche sehen, die gegebenenfalls später in ihrem Rückbüffet steht. Wenn in Eurer Flasche ein Gin steckt, sagt den Bartendern nicht, dass der auch super mit Tonic geht. Das ist, als würde man einem Koch sagen, dass Steak und Salz ganz hervorragend harmonieren.

Business für die Bar macht man nicht in der Bar

Seid vorbereitet auf die Fragen, die ein Barbetreiber haben wird. Denn ihm geht es nicht nur um den Inhalt der Flasche, sondern auch darum, wie und zu welchen Bedingungen er sie kaufen kann: Wie läuft der Vertrieb? Gibt es Rückvergütungen oder sonstige Konditionen, die Ihr gewähren könnt? Ist die Produktion in ihren Mechanismen schon so weit voran entwickelt, dass man stets mit zeitnaher Lieferung rechnen kann? Stellt Euch mal vor, solche Gespräche in einer rappelvollen Bar zu führen, nachdem Ihr vielleicht aus den vorigen drei Besuchen schon leicht einen in der Krone habt. So macht man kein Business.

Also, liebe Vertreter (oder „Außendienstler“ oder „Sales Reps“ oder „Musketeers“), zeigt Euren Respekt für diejenigen, deren Gunst Ihr erhalten wollt. Behandelt sie wie das, was sie sind – nämlich Geschäftspartner. Wenn Ihr das tut, habt Ihr vielen anderen neuen Marken, die auch weiterhin spätabends in Verkaufsmission durch die Bars schwadronieren, schon eine halbe Meile voraus. Und wenn Ihr alles richtig macht, wird der Barchef Euch bei Eurem nächsten Besuch auch ganz normal und herzlich begrüßen wie alle anderen Gäste. Und Euch möglicherweise einen Shot aufs Haus anbieten. Sogar aus einer Flasche, die Ihr ihm nicht umsonst mitgebracht habt. Obwohl Eure Flasche jetzt im Rückbüffet steht.

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