Marian Beke ist in der Barwelt ein bekannter Name. Jahrelang hat er das Bargeschehen in London in Bars wie dem Nightjar oder, später, seinem The Gibson mitgeprägt. Seit über einem Jahr ist er in Berlin ansässig. Und reanimiert hier sein The Gibson. Dort haben wir ihn zum Gespräch getroffen.
Es ist ein bisschen so, als würde ein Top-Fußballer aus der englischen Premier League nach Deutschland wechseln; so etwas kommt schon vor, aber man hebt dennoch leicht verwundert eine Augenbraue.
Ist das nicht ein Rückschritt? London ist doch die Stadt, wo alle hinwollen, weshalb will denn einer da weg? Vor allem einer, der sich da schon einen Namen gemacht hat? In der Cocktailwelt ist London immer noch ein Champion, allerdings sicher nicht mehr undisputed. Andere Städte und Länder haben in punkto Cocktailkultur massiv aufgeholt, und da muss man sich nicht einmal mit der müßigen Frage beschäftigen, ob denn jetzt Singapur the place to be sei. Auch für hochklassige Trinkkultur in Europa gibt es mittlerweile viele Möglichkeiten außerhalb der Insel, und Britanniens politische Entwicklung hat das Umdenken vieler shakender Wandergesellen nur verstärkt: Wenn’s so schwierig ist, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, dann bleibt man eben auf dem Festland. Bei höherem Lohn. Geringeren Arbeitsstunden. Und besserem Wetter.

Neue Möglichkeiten in Berlin
Wer heute durch London streift, sieht nicht weniger Läden als früher, und auch die Flut der Neueröffnungen lässt nicht nach, aber dennoch brodelt es unverkennbar unter der Oberfläche: selbst klangvolle Namen wie das Scout oder das Untitled sind verschwunden, und viele, selbst renommierte Bars, haben gerade noch das Personal, um drei oder vier Tage in der Woche öffnen zu können. Für viele Bars der Stadt waren die letzten Jahre der perfekte Sturm; warum also nicht die Zelte abbrechen? Marian Beke formuliert es kurz und knapp: „Zuerst kam Covid, dann der Brexit, dann lief der Mietvertrag aus und London wurde sehr schwierig, was das Personal anging. Dann kamen familiäre Gründe hinzu, und ich habe in Berlin eine neue Möglichkeit gesehen.“
Nun ziehen Menschen eher und öfter um als Bars, aber im Gespräch mit Marian Beke kristallisiert sich schnell heraus, dass das Gibson für ihn mehr ist als nur ein beliebiger Name für einen bestimmten Ort – sondern eine Idee, die er ebensowenig in einem anderen Land zurücklassen würde wie seine Frau. Nach einem etwa einjährigen Intermezzo als Berater für die Bellboy-Gruppe ziert nun also der altbekannte filigran-goldene Schriftzug die Bar im Precise Tale Hotel in der Berliner Stresemannstraße, wobei Beke wichtig ist zu betonen, dass das hier eben keine In-House-Kollaboration ist: „Wir haben geschäftlich nichts mit dem Hotel zu tun; wir haben nur den Raum hier innerhalb des Hotels, und es gibt auch einen separaten Eingang.“

The Gibson Berlin
Berlin, kontrolliert? Offenbar
Der erste Unterschied zum alten Gibson ist augenfällig: Man hat Platz. So charmant der Pub-ähnliche Charme war, aber mit 25 Gästen war der Laden voll, und man saß doch meist eher beengt. Das ist nun definitiv Geschichte, und Beke genießt diese Veränderung sichtlich, während er auf die neuen Polstersessel deutet: „Im alten Gibson hätte ich diese Art von Mobiliar gar nicht haben können, weil es den Platz nicht gab. Schau dir mal den Raum hier an! Trotzdem werden es am Ende auch nur 50 Plätze sein. Doppelt so viele wie früher, aber immer noch nicht riesig.“
An dieser Stelle wird sehr deutlich, dass Beke mehr als nur die räumliche Beengung zurückgelassen hat: „Nach dem Brexit war für mich ein Zeitpunkt gekommen, vieles zu hinterfragen. Der geschäftliche Druck hat in London dazu geführt, dass die Qualität nachgelassen hat. In Berlin ist das viel kontrollierter. Ich spüre da so einen gewissen Vibe, wonach das die kommende Stadt sein könnte. London hält dich immer an der Gurgel gepackt, und das ist ein sehr ungesundes Klima. Für die gleiche Pacht kann ich mir hier mehr Platz leisten und das Geschäft wachsen lassen. Auf eine gesunde Art und Weise, und das ist sehr wichtig.“
Berlin als Befreiungsschlag für Marian Beke
Berlin klingt an dieser Stelle fast wie ein Befreiungsschlag für Beke. Wer hätte das gedacht. Im Sommer wird er noch etliche Außenplätze bewirtschaften können, es wird Snacks, Austern und Zigarren geben, 12 Signatures auf der Karte plus fünf Martinis und vier nichtalkoholische Cocktails: Auch hier erkennt Beke die Zeichen der Zeit, und besonders sein Experiment mit dem sogenannten Tollhonig klingt spannend. Legal Highs also bald auch im Glas? Die Backbar mit den tönernen Fischen für das Wasser, der zum Trinkgefäß umfunktionierten Buntstift-Rakete und dem befederten Pfau haben ohnehin eine dezent halluzinogene Wirkung. Im Stil seiner Drinks, für den er bekannt ist und bei dem es ihm nach eigener Aussage nicht um die sogenannte Instagramability geht, bleibt er sich ganz offensichtlich treu: „Es geht darum, dass das Bild des Drinks etwas beim Gast hervorruft, das mit dem Drink selbst korrespondiert.“
Bei der Opulenz seiner Kreationen vergisst man schnell, dass das Gibson seinen Namen nicht von ungefähr hat, und auch in der neuen Location wird das vielleicht bekannteste Martini-Geschwisterchen nach wie vor im eiskalten, schweren Metall-Konus serviert, mit Parmegiano zum Knabbern, und mit den Resten der eigenen Pickled-Vermouth-Edition von Del Professore bereitet, die leider nach dem Kauf der Marke durch Campari eingestellt wurde – wie die meisten anderen Produkte des italienischen Wermut-Rebellen übrigens.
Der Gibson aber bleibt dem Gibson erhalten, auch wenn Beke selbst noch ein wenig skeptisch ist, was die Trinkgewohnheiten in der neuen Stadt angeht: „Manchmal habe ich den Eindruck, gerade nach dem Bellboy, als würde der Martini hier keine so große Rolle spielen, anders als der Sour etwa. Besonders der Whiskey Sour scheint richtig groß zu sein.“
Darf natürlich nicht fehlen: Der Gibson im Gibson
Seinen Gibson sollte man sich aber keinesfalls entgehen lassen. Kalt und süffig, kräftig und leicht, rund und kantig zugleich; ein Drink wie von M. C. Escher gemalt. Die anderen Drinks sind, wie schon aus London gewohnt, zumindest optisch eher irgendwo zwischen Salvador Dali und Friedensreich Hundertwasser angesiedelt. So oft, wie dieser Stil belächelt wurde, so oft wurde er auch kopiert, gerade natürlich weil Menschen gerne Beweisfotos ihres Tuns durch die Welt schicken und der Standard der geklärten, dekorationslosen Flüssigkeit in der Nick & Nora wenig Rückschlüsse darauf zulässt, ob man es sich gerade in Hongkong oder in Castrop-Rauxel gutgehen lässt.
Nun ist Marian Beke eben kein Minimalist, aber entscheidend bei allen Vorbehalten gegenüber der Form bleibt der Inhalt, und seine Drinks funktionieren einfach. Zum Beispiel der aus dem oben erwähnten Pfau. Mit den Federn. Drin: Mezcal und ein Püree aus jungen Erbsen. Unter anderem. Charakterstark, anregend, frisch, aber weit entfernt von den aufgepumpten Anabolika-Auswüchsen, die man anhand des Auftritts fast erwarten würde. Später: Bienenwachs. Geriebene Tonerde (um das mit der Mineralität mal ernst zu nehmen). Man bekommt schon etwas zu sehen, wenn man am Tresen sitzt. Zwar hat sich Beke von dem Gewürzparadies der Brick Lane entfernt, stürzt sich aber mit Begeisterung auf das, was er in Berlin von den Händlern aus der Türkei, dem nahen Osten und den slawischen Staaten findet. Und den Rest kann man bestellen.
Berlin kann sich freuen. Auch wenn die örtlichen Fußballclubs noch keine englischen Topstars abwerben können – die Barszene ist offensichtlich so weit.