In einladend kühlem Grünblau leuchtet der See, in der Ferne schneiden glänzend gelackte Mini-Yachten in 50er-Jahre-Optik den Lago: Die legendären Riva-Boote sind elegante Schönheiten, auf denen schon Stil-Ikonen wie Brigitte Bardot und George Clooney übers Wasser sausten. Gunter Sachs unterhielt gleich drei der zeitlosen Motorboote aus Mahagoni-Holz. Um den See herum steigen steil die Berge auf und über dem Küstenstädtchen Salò zögert das abendliche Sommergewitter noch, ob es später noch vorbeischauen will oder sich doch direkt auflöst. Den Urlaub am Lago di Garda haben wir aus einer gewissen Müdigkeit heraus gebucht und aus der Sehnsucht, mal nichts zu müssen, möglichst wenig zu erleben. Das klappt hier ganz hervorragend und wir summen der Langeweile ein Liebeslied: »… stringimi forte e stammi più vicino, se ci sto bene, sarà perché ti amo!«
Campingküche mal anders
Selbst das abendliche Grillen zwischen Bungalow und Zelt haben wir weitestgehend eingestellt, seit wir rausgefunden haben, dass sie im angeschlossenen Restaurant auf dem Campingplatz richtig gut kochen. Felchen beispielsweise, also Coregone aus dem See, roh mariniert auf Crostini-Brot. Oder diese umwerfende See-Sardine l‘ Agone, wie ein Brathering süß-sauer eingelegt, mit Rosinen und Zwiebeln und auf einem warmen Stück weicher Polenta serviert. Das ist das Schöne an der Beschäftigung mit Kulinarik, man lernt nie aus und gewinnt mit jeder Entdeckung. Gnocco Fritto kannte ich auch noch nicht: luftige Kissen im Puppenhaus-Format, aus einem Schmalz-Hefe-Teig, in Olivenöl gebacken und warm zu hauchdünn geschnittenem Parmaschinken und Stracciatella serviert, nicht das Eis, sondern der Käse di bufala. Kein Abend im Ristorante Molino, der nicht mit dieser traditionellen Köstlichkeit aus der Emilia-Romagna beginnt, die Kids bestellen bald ihre eigene Portion.
Sommerliebe: Sgabei
Ein bisschen erinnern mich die Gnocco Fritto an eine andere italienische Spezialität, die ich zwei Sommer zuvor während der Arbeit an meinem Kochbuch Einfach Urlaub kennenlernte. Fotografin Vivi D’Angelo erzählte mir damals angesichts einer nicht unerheblichen Menge übrig gebliebenen Hefeteigs von einer Spezialität aus der historischen Gegend Lunigiana, einer Region zwischen Ligurien und der Toskana. Für Vivi eine Kindheitserinnerung: Sgabei, in Olivenöl frittierte Streifen aus Hefeteig, die sich im Fett zu kleinen Mini-Broten aufblähen. Diese können, ähnlich wie die Gnocco, zu Schinken und Käse serviert oder aber nach Belieben aufgeschnitten und gefüllt werden. Köstlich die vegetarische Variante mit (Ziegen-)Frischkäse und Rauke, die es dann auch ins Kochbuch schaffte.
Und während ich mir auf der Terrasse des Molino noch ein Gnocco Fritto schnappe und dabei über Sgabei-Sandwiches nachdenke, (die ja ein gutes Rezept für diese Kolumne wären!) fällt mir auf: Frittieren ist im laufenden Barbetrieb vielleicht keine so richtig gute Idee. Es sei denn, man arbeitet an einer Strandbar, verfügt über eine angeschlossene Küche mit kraftvoller Abluft oder einer gut schließenden Fritteuse. Dann wäre, genügend Personal vorausgesetzt, haha, die italienischen Spezialitäten idealerweise auch frisch gebacken und warm zu servieren.
Frittieren in der Bar – Kitchen Impossibile?
Weil wir aber alle die Realitäten kennen, habe ich in der Küchenwerkstatt ein bisschen experimentiert: Der Schmalz-lastige Teig für Gnocco Fritto ist tatsächlich nur frisch wirklich bezaubernd – der Hefeteig für Sgabei jedoch hat eine deutlich längere Halbwertzeit und kann prima vorbereitet werden! Für unser Rezept schneidet man den Teig nicht klassisch zu länglichen Minibroten, sondern zu Gnocco Fritto-ähnlichen Mini-Kissen. Die sind dann auch echtes Fingerfood zum Teilen und Snacken. Die Drinks und Beilagen dazu variabel: Schinken, Stracciatella, Oliven, Kapernäpfel, ein Frischkäse-Parmesan-Dip mit Basilikum … die vor dem Service frittierten Kissen können optimalerweise vor dem Servieren nochmal leicht erwärmt werden. Ein Rezept für die italienischen Momente im Herbst und das leise Versprechen des nächsten Sommers: »Che confusione, sarà perché ti amo, e un'emozione che cresce piano piano…«
Dieser Beitrag von Stevan Paul erschien erstmals in der Ausgabe Mixology 5-2024. Für diese Wiederveröffentlichung wurde er formal adaptiert und inhaltlich angepasst.
Weitere Beiträge aus der Serie
Teil 1: Clubsandwich Lasagne-Style
Teil 2: Katsu Sando
Teil 3: Budapešťská pomazánka
Teil 4: Serrano-Tapa-Stulle
Teil 5: Sbagei frittiert