Selbst in der Saison von Juni bis August ist es schwer, vollreife Himeeren zu bekommen. Gerade mal zwei bis drei Tage halten sich diese gekühlt, die aromatischen Früchte sind so fragil, dass sie schon beim Sammeln matschig werden können und schnell schimmeln. Richtig gut schmecken sie aber eben nur vollreif, im Gegensatz zu den festeren, geschmacksneutralen Exemplaren, die man über lange Lieferwege im Winter bekommt. Brenner:innen haben eine elegante Lösung für dieses Problem gefunden: den Geschmack reifer Himbeeren mit Alkohol einfangen.
Brand oder Geist?
Einmal durch die Destille gelaufen, lässt sich das fragile Aroma wesentlich länger haltbar machen. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste ist recht kostspielig. Für einen Brand werden die Himbeeren vergoren und die Maische anschließend destilliert. Dafür braucht man sehr viele Beeren, deren Zuckergehalt sehr gering iss. Da ist man schnell mal bei 70 kg Beeren, um auf nur einen Liter Himbeerbrand zu kommen. Entsprechend ist ein so hergestelltes Produkt recht teuer. Doch die Spirituose gibt es auch günstiger, aber dann mit dem Vermerk, dass sie »durch Mazeration und Destillation gewonnen« wurde. In diesem Fall werden die Beeren angemaischt und mit Neutralalkohol vermischt, bevor sie destilliert werden. Dabei ist der Beerenanteil aber so hoch, dass sich die Spirituose noch »Brand« nennen darf. Das ist nur bei bestimmten zuckerarmen Früchten wie Himbeeren, Erdbeeren oder Brombeeren erlaubt. Fünf Teile Frucht auf einen Teil hochprozentigen Alkohol beträgt das Mischungsverhältnis.
Ein geringerer Beerenanteil kommt beim Geist in die Flasche. 3 bis 4 kg auf einen Liter Alkohol ergeben einen intensiven Geist, bei einfacheren Produkten aber auch wesentlich weniger Frucht. Im Falle von Geist werden die Beeren auch nicht angemaischt, wie bei Bränden üblich. Die Früchte werden lediglich eingelegt und aromatisieren den Alkohol, der danach destilliert wird. Entsprechend ist das die günstigste und am wenigsten arbeitsintensive Art, eine Himbeerspirituose herzustellen. Aromatische Unterschiede ergeben sich aber nicht nur durch die Art der Herstellung. Die Qualität der Früchte hat einen entscheidenden Einfluss auf das Aroma. Zu früh oder zu spät geerntete Beeren, faulige Früchte und Verunreinigungen durch Erde oder Blätter führen zu keinem hochwertigen Destillat.

1. Platz 95 Punkte
Herkunft: Österreich
Hersteller: Destillerie Georg Hiebl
Alkoholgehalt: 40 % Vol
Füllmenge: 350 ml
Preis: ca. € 55,-
Vertrieb: Eigenvertrieb
Dichte, dunkle Aromen und etwasHefe liegen bei diesem Brand in der Nase. Angenehm breit und üppig auf der Zunge, die vollmundige Textur trägt neben fermentierter Himbeere vegetabile und florale Noten. Der lange Nachhall birgt viel Frucht, die tolle Intensität dürfte sich in Drinks auch in kleinen Mengen gut durchsetzen.

2. Platz 93 Punkte
Herkunft: Frankreich
Hersteller: Distillerie Nusbaumer
Alkoholgehalt: 45 % Vol.
Füllmenge: 700 ml
Preis: ca. € 44,49
Vertrieb: Schlumberger
Der Geist riecht sehr natürlich und reif, eine Spur grüner Fenchel und Lakritz fügen Komplexität hinzu. Im Antrunk eine angenehme Süße und kandierte, marmeladige Himbeernoten, begleitet von einer cremigen Textur. Dunkle, volle Beeren bleiben lange auf der Zunge, die 45 % Alkohol sind im Nachhall etwas spürbar. Ein reintöniger, schöner Geist.

Gartenhimbeere
3. Platz 90 Punkte
Herkunft: Deutschland
Hersteller: Faude feine Brände
Alkoholgehalt: 40 % Vol.
Füllmenge: 500 ml
Preis: ca. € 38,-
Vertrieb: Eigenvertrieb
Spannend, neben Himbeeren und Stachelbeere riecht man bei Florian Faude deutlich waldige, harzige Noten wie Pinie und Zeder. Der Antrunk ist frisch, darauf folgt eine natürliche Frucht, etwas Konfitüre und eine leichte alkoholische Schärfe. Der Nachhall ist mittellang und etwas herb und minzig-kühl.
Hiebl macht die beste Himbeere
Sowohl Geist als auch Brand schaffen es in die Auswahl, der Fokus liegt auf Produkten, die preislich auch in Drinks kalkulierbar wären. Die ans Produkt gestellten Ansprüche sind sehr verschieden: „Die Himbeere sollte aromatisch klar erkennbar sein. Ich suche eher leichte Produkte, die nach natürlicher Himbeere schmecken und andere Zutaten nicht überlagern“, meint etwa Verkoster Ruben Neideck (Velvet). Je nach Drinkstilistik könnten auch aromatisch dichte Produkte vermixt Sinn machen, die sich selbst barlöffelweise dosiert durchsetzen. So lassen sich auch etwas hochpreisigere Brände in kleinen Mengen kalkulieren. Verkoster Nils Lutterbach (Lovis) fügt hinzu: „Wichtig ist mir vor allem das Aroma, weniger der Körper. In Drinks kommt meistens Zucker hinzu, da macht es nichts, wenn das Produkt etwas dünn ist.“
Dass das Aroma und das Mundgefühl gut zusammenfinden, ist bei wenigen Produkten der Fall. Meist folgt auf eine aromatische Nase ein eher zurückhaltender Antrunk mit wenig Körper und kurzem Finish – oder andersrum. Geist riecht häufig intensiver als er schmeckt, Brände tragen das Aroma dafür länger bei dichter Textur. „Was bei Spirituosen immer fehlt, ist die natürliche Säure der Frucht“, so Neideck. Die findet man eher bei Likören. Das Problem hierbei: die beim Öffnen frische und saftige Himbeere wirkt schon nach wenigen Wochen verkocht. Liköre haben, einmal Licht, Wärme und Sauerstoff ausgesetzt, ein viel kürzeres Leben als man vermuten würde. Am besten halten sie sich im Kühlschrank und sollten rasch aufgebraucht werden.
Aushängeschilder für Zuhause
Und wie würde man die destillierten Himbeeren vermixen? „Zum Beispiel in allem mit Trauben, etwa fortifizierten Weinen“, so Lutterbach, „das ist so ein zugängliches Aroma für Gäste, einfach schmeckbar, unkompliziert, und es ankert Drinks als Modifier aromatisch.“ Gerade internationale Gäste finden Brände und Geiste spannend, eine große Auswahl an Flaschen im Backboard hilft dem Interesse. Die Produkte sind fantastische Aushängeschilder mitteleuropäischer Brennkultur, die man in Bars noch viel prominenter einsetzen sollte. Unterschätzt werden auch die Möglichkeiten, mit lokalen Brennern Kooperationen einzugehen.
Viele Betriebe freuen sich über Kontakt und Anregungen aus der Barszene. Preislich ist gerade im Direktbezug größerer Mengen oder verschiedener Produkte vieles möglich, abgesehen davon kann manchmal sogar flexibel auf Bar-Bedürfnisse eingegangen werden. In Zeiten global explodierender Zöller ist der lokale Austausch von Brennereien und Bars ein Weg, sich gegenseitig zu unterstützen.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der Print-Ausgabe 2-2025 von MIXOLOGY. Dort finden sich auch genaue Tasting-Notes aller vierzehn verkosteten Produkte. Für diese Wiederveröffentlichung wurde der Beitrag formal angepasst und minimal gekürzt. Information zu einem Abonnement und/oder Bestellung einer Einzelausgabe findet sich in unserem Webshop.