An meinen letzten Besuch im Christiansen’s erinnere ich mich, als wäre es gestern. Von einem Festival kommend, zeigte ein Blick auf die Uhr, dass sich die Zeit bis zur Abfahrt meines ICE nach Berlin noch mit mindestens zwei Cocktails füllen ließe. Und dass die strategisch günstig gelegene Christiansen's Bar in wenigen Minuten ihre Türen öffnen würde. Selten hat sich eine spontane Entscheidung mehr gelohnt.
Vom Privileg der freien Platzwahl zu früher Stunde über den Anblick einer perfekt hergerichteten Cocktailstation bis zu einem ausgeruhten Barmann bot sich alles, was das Herz eines Bar-Liebhabers begehrt. Die Zeit verging wie im Flug, während Uwe über seine Buchprojekte erzählte, seine neuesten Spirituosenentdeckungen präsentierte und sich kritisch zu Branchenthemen äußerte. Währenddessen kredenzte sein Team mir und meiner Begleitung fantastische Drinks. Es waren am Ende deutlich mehr als zwei.
Uwe konnte Gastronomie
Gute Gastronomie hinterlässt den Gast glücklicher als er gekommen ist. Und Uwe Christiansen, mit dieser perfekten Mischung aus Nahbarkeit und Distanziertheit wie sie den guten Barmann auszeichnet, konnte gute Gastronomie. „Danke für unvergessliche Stunden, an die wir uns nicht mehr so Recht erinnern können. Die Hamburger Kehlen werden trockener bleiben“, schrieb der bekannte TV-Koch und Gastro-Unternehmer Tim Mälzer auf Instagram, als die Öffentlichkeit vom plötzlichen Versterben der Hamburger Bar-Ikone am 13. Januar 2025 erfuhr.
Alle, die Uwe Christiansen kannten, wissen, dass sich diese nun klaffende Lücke im kulturellen und gastronomischen Gewebe der Hansestadt nicht so schnell schließen wird. Zu sehr hat der in dörflicher Umgebung aufgewachsene Globetrotter die Öffentlichkeit geprägt mit seiner unermüdlichen Suche nach Qualität und Neuerung. Bei der heutigen Fülle an Qualitätsbars, bestückt mit fließend Englisch sprechenden, weitgereisten und Instagram-gestylten Bartendern, vergisst man oft, dass es eine Zeit gab, in der es keine Cocktails außerhalb von Hotels gab und das Nennen des Bartender-Berufs im Bekannten- und Verwandtenkreis ein Stirnrunzeln oder gar Naserümpfen hervorrief.
Von Südafrika nach Hamburg: Die internationale Karriere
Uwe, der gelernte Einzelhandelskaufmann, wählte den Weg in diese Profession sehr zielstrebig und sehr bewusst. Gefördert von seinem Vater, mit dem er bereits im heimischen schleswig-hoslteinischen Hohenwestedt eine Keller-Bar eingerichtet hatte, suchte Christiansen, der neben seiner Leidenschaft für Getränke auch früh als Diskjockey seine Liebe zur Musik entwickelte, schnell internationale Erfahrung. Im südafrikanischen Durban traf er in einem Ableger der Singapurer Raffle’s Bar seinen Mentor Frank Helmboldt. „Da kam abends immer ein Typ in die Bar und bestellte Chivas on the Rocks“, beschreibt Helmboldt den Beginn einer Freundschaft, die ein Leben lang halten sollte. In ihrer Freizeit begannen die beiden jungen Männer, um die Häuser zu ziehen. Die Liebe von Christiansen zum Nachtleben begann sich zu verfestigen.
Als Team wechselten sie nach Kapstadt, wo Christiansen von Helmboldt zuerst am Strand das Jonglieren von Tabletts und später im renommierten Charlie Parkers das Handwerk am Shaker beigebracht bekam. Später folgten Stationen auf Kreuzfahrtschiffen, unter anderem dem ehemaligen Traumschiff MS Astor und der Queen Elizabeth II. Als ich selbst Uwe zum ersten Mal Anfang der Nullerjahre in der Jury eines Cocktailwettbewerb traf, wirkte er auf mich sehr von den 1990ern und den Netzwerken der Deutschen Barkeeper Union geprägt, die ihm halfen nach seiner internationalen Karriere in Hamburg Fuß zu fassen.
Der „Christiansen-Stil“
Äußerlich blieb Christiansen dem Look dieser Epoche mit dem klassischen Hemd und der zwischen die Knöpfe eingefädelten Krawatte bis zum Schluss treu. Aber im Kopf blieb er immer der wissbegierige Nomade, der er in jungen Jahren mit seinen vielen internationalen Stationen gewesen war. So bildete sich über die Jahre dieser eigene Christiansen-Stil heraus. Klassisches Handwerk, gewürzt mit einem ordentlichen Schuss Achtziger-Nostalgie, dazu eine geradezu archivarische Leidenschaft für alte Fachbücher und Vintage-Cocktails, serviert mit einer Palette an Trend-Aromen und einer ordentlichen Portion Kiez-Punk.
Sein Antrieb war derselbe, der auch dieses Magazin ins Leben gerufen hatte. Mein Co-Gründer Jens Hasenbein erinnerte mich daran, dass Uwe gleich nach der ersten Ausgabe Anfang 2003 anrief und bat, jeweils einen Karton der Zeitschrift zu schicken, damit er sie an Bekannte aus der Branche und interessierte Gäste verteilen könne. Herrschaftswissen – diese Unart früherer Generationen – war Christiansen fremd.
Christiansen und die Entwicklung der deutschen Cocktailkultur
Ein gutes Beispiel für Uwe Christiansens Talent zum Netzwerken und seinen Ehrgeiz ist die Einführung des Cosmopolitan Cocktails, Jahre bevor dieser durch Fernsehserien der Öffentlichkeit bekannt wurde. Die Rezeptur zu diesem Drink ließ er sich von der New Yorker Koryphäe Dale DeGroff damals, im Zeitalter vor E-Mails und Mobiltelefonen, noch per Fax schicken. Der für diese Kreation benötigte Cranberry Juice wiederum wurde damals hierzulande, wenn man ihn denn überhaupt kannte, so deutsch-skeptisch beäugt wie heute der Elektromotor. Uwe Christiansen aber ließ sich davon nicht beirren und stöberte in mühsamer Suche ein Cranberrykonzentrat auf, um den Drink an seine Gäste ausschenken zu können. Und im Wissen, dass eine Stimme allein keinen Kanon zum Klingen bringt, bewarb er gemeinsam mit dem Importeur von Cointreau Rezeptur und Zutaten des Cocktails urbi et orbi in Medien und auf Branchenveranstaltungen.
Erfolge und Rückschläge: Uwe Christiansens Projekte
Den Hamburgern wurde der Name Christiansen erstmals im Hamburger Schmidts Tivoli geläufig, wo er ab 1991 die Bar im Angie’s Nightclub bespielte. Inspiriert von Unternehmern wie Bill Deck, die erstmals freistehende Cocktail Bars außerhalb von Hotels etablierten – der älteren Generation von Barflys werden die Namen Meyer Lansky und Harry’s New York Bar noch etwas sagen – bekam er durch Zufall 1997 die Räume angeboten, in der bis heute die Christiansen’s Bar residiert.
Gleich 1998 wurde diese Cocktail-Oase, die häufiger von den Krawallen der nahen Hafenstraße heimgesucht wurde, von Lesern des Playboy per Postkarte zur „Bar des Jahres“ gekürt. Und spätestens ab diesem Zeitpunkt war Uwe Christiansen der deutschen Öffentlichkeit ein Begriff. Seine Bar bekam Ableger in Hamburg und Lübeck. Christiansen wurde Buchautor und Kolumnist. Er avancierte aber weniger zu einem Idol der Branche als zu einem Cocktailerklärer für den Konsumenten. Viele Spirituosenkreationen wie etwa die Edeka-Eigenmarke „Henderson“ tragen seine beratende Handschrift. Christiansen trat in TV-Shows auf oder präsentierte in Publikumsmedien zur Jahreszeit passende Cocktails.
Über die Jahre wurden seine Wurzeln in Hamburg tiefer. Sein Traum von einer eigenen Tiki Bar, die er sich mit dem Cabana erfüllen wollte, überlebte leider nicht. Den Hanseaten am deutlichsten in Erinnerung dürfte die Kiez-Institution Herz von St. Pauli geblieben sein, die laut Christiansen aus einer Zufallsbekanntschaft und einem lockeren Gespräch an einem Tresen entstand. Dieser florierenden Gastronomie, bei Eröffnung von DJ Christiansen noch selbst mit Vinyl-Platten bespielt, bereitete der Abriss der Esso-Hochhäuser ein plötzliches Ende.
Bei all der Offenheit Neuem gegenüber, blieb Uwe Christiansen doch traditionellen Bar-Werten verpflichtet. Im hörenswerten Podcast Hidden Bar History, aufgenommen von seinem ehemaligen Barmann Eyck Thormann, sagt er über die Unart, statt mit seiner Begleitung zu sprechen, am Tresen auf kleine Bildschirme zu blicken: „Nicht immer waren die alten Zeiten besser. Aber in Bezug auf den Umgang untereinander waren sie es.“
Der Mensch hinter der Bar: Erinnerungen von Weggefährten
Wer aber war Christiansen als Mensch innerhalb und außerhalb der Bar? Gab es den Privatmensch in diesem Unternehmer, der im MIXOLOGY-Interview vor gut sieben Jahren von sich selbst sagte, er sei „so einer, der arbeitet, arbeitet, arbeitet“, denn er „habe ja auch keine Familie“? „Für mich war er fast wie ein Ziehvater“, sagt Podcaster und Whisky-Markenbotschafter Thormann, der Christiansen als Bartender mit am längsten begleitet hat. „Ich durfte auf seinen Schultern wachsen. Er war für mich anfangs Leitfigur und wurde später zu einem guten Freund.“ Außerhalb der Bar gab es laut seiner engsten Begleiter vor allem die beiden Passionen Musik und Oldtimer. „Sein eigentliches Hobby aber war Reisen“, sagt Frank Helmboldt, der mit ihm in jungen Jahren 20.000 km kreuz und quer durch Afrika fuhr, „alles andere drehte sich rund um die Bar.“ Eine wichtige Charaktereigenschaft von Christiansen sei seine Verlässlichkeit gewesen, so Helmboldt: „Wenn er etwas ankündigte, tat er es auch.“ Wenige Tage vor Christiansens Tod sahen sich die beiden Lebensfreunde zum Abschied von Helmboldts Globetrotter Bar, die nach 30 Jahren auf Rügen ihre Pforten schloss. Dass dies das letzte Mal sein würde, ahnte niemand.
Den Barmensch Uwe Christiansen, wie man ihn über Jahrzehnte am Tresen erleben konnte, beschreibt Le Lion-Betreiber Joerg Meyer in Form eines Cocktails, den er als Hommage servieren möchte: „Leichtigkeit und doch komplex. Frisch und gute Laune. Was fehlen wird, ist Dein verschmitztes Lächeln beim Servieren.“ Uwes Vermächtnis lebt weiter. Nicht nur durch die Christiansen’s Bar, die laut seinem Bruder Jürgen weiterhin geöffnet bleibt, sondern auch durch die vielen Menschen, die er inspiriert hat. Hamburg verliert mit Uwe Christiansen nicht nur einen herausragenden Gastronomen, sondern auch einen Botschafter der Stadt und einen guten Freund.
Stoßen wir an auf einen der Großen der Barkultur.
Der Autor spendet sein Honorar für diesen Beitrag an die Deutsche Stiftung für Herzforschung.
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Danke Helmut, Dein Nachruf liest sich so, wie Uwe's Cocktails schmecken... auf den Punkt!
Auch die Trauerfeier in der St. Pauli- Kirche war sehr gut gestaltet und Uwe würdig.
Uwe ... es ist echt nicht zu fassen 😳 ... seit 2001 sind wir Gast in Deiner Bar... teilweise 3-4x in der Woche 😄 ... wir sind immer zu zweit aus
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