Bis vor etwa einem Jahr stand am Erdgeschoss im Mühlenkamp 42 in Hamburg-Winterhude noch der Schriftzug „The Reason“. Dann kam erst Timo Daniel und, völlig ungeplant, kurz darauf auch seine Lebensgefährtin Jules Koch aus Berlin, um den Laden zu übernehmen. Nach der Renovierung leuchten die Wände blau, der Plattenteller schnurrt und im jetzigen „Nick & Nora“ werden klassische Drinks gerührt. Im Gespräch gibt das Paar Einblicke, wie sie zur eigenen Bar in einer fremden Stadt kamen.
MIXOLOGY: Liebe Jules, lieber Timo, wie kam die Idee auf, die Bar zu übernehmen?
Jules Koch: Die Idee, eine Bar zu übernehmen, gab es so eigentlich nicht. Alles entstand eher durch ein paar glückliche Zufälle. Timo sagte damals irgendwann: „Ich fahr‘ nach Hamburg, um mir eine Bar anzuschauen – die brauchen jemanden, der sich übergangsweise drum kümmert. In zwei Wochen bin ich wieder da.“ Kleiner Spoiler: Er ist nie wirklich zurückgekommen. Stattdessen kam die Frage: „Jules, wie findest du eigentlich Hamburg…?“
Timo Daniel: Was ursprünglich als Übergang gedacht war, entwickelte sich so also schnell zu einer echten Chance – zu einer, die wir nicht ablehnen wollten. Also haben wir es einfach gemacht.
Jules Koch: Timo hatte zwar schon länger die Idee eines eigenen Ladens im Kopf, allerdings war der Plan eher auf Berlin ausgerichtet. Doch dann wurde er halt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Hamburg „verschifft“, um sich übergangsweise um den Laden zu kümmern. Irgendwann hat er mich überzeugen können und dann haben wir die Chance einfach wahrgenommen. Der Name stand früh fest und passte perfekt zu unserer Idee einer klassisch orientierten Bar – und dazu, als Paar als eine Art Nick & Nora aufzutreten.
MIXOLOGY: Wie würdet ihr eure Drinks definieren, was ist euch dabei wichtig?
Jules Koch: Die Drinks sind stark in der klassischen und traditionellen Barkultur verankert – das ist unsere Basis, sowohl im Drink als auch im Service. Wir servieren gerne Klassiker, manchmal mit kleinen Twists. Unsere Eigenkreationen entstehen meist aus bestehenden Produkten – abgesehen von ein paar Cordials machen wir wenig selbst, das ist nicht unbedingt unser Steckenpferd. Wir probieren viel aus, landen aber immer wieder bei Klassikern, die einfach gut sind. Unser Motto: Erst die Klassiker verstehen und beherrschen – dann kann man kreativ werden.
Timo Daniel: Unsere Karte ist daher eine kuratierte Auswahl an Eigenkreationen, die ohne große Verspieltheit auskommen. Klar und schnörkellos, mit viel Liebe zum Detail – aber nie zu kompliziert.
MIXOLOGY: Ihr spielt Musik in Eurer Bar ausschließlich auf Vinyl. Ihr definiert euch aber nicht als „Listening Bar“, oder?
Jules Koch: Nein, wir sind keine klassische Listening Bar. Trotzdem bringen Langspielplatten eine ganz eigene Art mit sich, Musik zu hören – und zu gestalten. Wenn wir ein Album auflegen, wird es auch zu Ende gespielt. Alle 20 bis 30 Minuten besteht die Möglichkeit, die Musik der Atmosphäre anzupassen – oder umgekehrt. Diese Agilität gibt’s bei Playlists zwar auch, wird aber selten so genutzt.
Timo Daniel: Unsere Plattenwand sorgt oft für Gespräche, manchmal bringen Gäste sogar eigene Platten mit, die wir dann bei Gelegenheit auflegen. Musik spielt bei uns zwar keine größere Rolle als in vielen anderen Bars, aber sie bleibt Teil der Atmosphäre – man darf sich gerne unterhalten, ohne sich der Musik verpflichtet zu fühlen. Fast alle Platten haben wir übrigens von unseren Eltern und Großeltern bekommen – der Gedanke, dass diese Alben schon vor langer Zeit viel gehört wurden, macht das Ganze für uns besonders.


MIXOLOGY: Die Stadt für einen neuen Job in einer Bar zu wechseln, ist nicht ungewöhnlich – aber es für die Selbstständigkeit zu tun und eine Bar in einer fremden Stadt zu übernehmen schon. Was sind die Unterschiede zu Berlin, und was ist vielleicht ähnlich?
Timo Daniel: Gerade am Anfang war es für Jules ein kleiner Kulturschock – vielleicht nicht nur wegen Hamburg, sondern auch wegen Winterhude, dem Stadtteil, in dem wir sind. Alles ist sehr klein und familiär. Nach ein paar Wochen auf dem Mühlenkamp kennt man schon viele Gesichter. Das ist schön, aber wenn man die Anonymität aus Berlin gewohnt ist, auch erstmal gewöhnungsbedürftig.
Jules Koch: Hamburg ist in vielerlei Hinsicht kleiner als Berlin – das kann man gut oder schlecht finden. Die Berliner:innen sind offener für Neues, während man in Winterhude die Gäste eher an die Hand nehmen muss. Aber wenn man sie einmal überzeugt hat, bleiben sie auch. In Berlin ist alles schneller und flüchtiger, da ist es vielleicht schwieriger, sich eine langfristige Gästebasis aufzubauen.

MIXOLOGY: Seid ihr von der Hamburger Szene gut aufgenommen bzw. integriert worden?
Jules Koch: Ein ganz klares „Ja“! Das war für uns eine der größten und schönsten Überraschungen. Obwohl unser Auftreten vor dem Umbau noch recht zurückhaltend war, haben wir von Anfang an viel Unterstützung und echtes Interesse erfahren. Die Hamburger Barszene tut viel für sich selbst – da steckt viel Arbeit und Herzblut drin, und das merkt man. Wir sind sehr dankbar für diesen warmen Empfang – er hat uns den Start in einer neuen Stadt unglaublich erleichtert.
MIXOLOGY: Was sind die großen Learnings im Übergang vom Angestellten zur Unternehmerin und zum Unternehmer?
Jules Koch: Man hört es immer – und es stimmt: Selbst und ständig. Es gibt kaum Momente, die sich nicht um die Arbeit drehen. Die To-do-Liste wird irgendwie nie kürzer. Die Herausforderung liegt darin, sich davon nicht erdrücken zu lassen, sondern die Phase auch zu genießen. Das Schöne ist: Es fühlt sich oft gar nicht wie Arbeit an. Man steckt 100 Prozent in ein Projekt, das einen begeistert. Jede zusätzliche Stunde hat ein klares Ziel, was sehr erfüllend ist.
Timo Daniel: Man stellt sich das anfangs bedeutend einfacher vor und hat nicht auf dem Schirm, wie viele Aufgaben neben dem Gastgebersein abends noch dazukommen. Es ist durchgehend viel, ja, aber man weiß, wofür man es tut. Alles, was man macht, macht man für sich selbst – das motiviert ungemein. Trotz weniger Freizeit gibt es ein echtes Gefühl von Freiheit, weil man sich die Arbeit selbst einteilen kann.
MIXOLOGY: Ihr habt einen entbehrungsreichen Umbau hinter euch, habt teilweise auf einem Dachboden gewohnt. Das klingt nach einem ziemlichen Kraftakt. Seid ihr jetzt etwas zur Ruhe gekommen?
Jules Koch: Der Start in Hamburg war wild und der Umbau sehr intensiv – manchmal fragt man sich, wie man hier überhaupt gelandet ist. Über sieben Monate aus dem Koffer gelebt: Hotels, Zwischenmiete, die Couch des Bruders, ein halbbewohnbarer Dachboden. Dass zum Start des Umbaus zumindest unser persönlicher Umzug durch war und wir eine Wohnung hatten, war Gold wert. Einen Rückzugsort zu haben, macht einen riesigen Unterschied. Seitdem der Umbau abgeschlossen ist und wir richtig in der Wohnung angekommen sind, können wir langsam, aber sicher auch die Stadt kennenlernen.
MIXOLOGY: Zusammenleben und eine Bar gemeinsam betreiben – seht ihr euch auch manchmal nicht?
Jules Koch: Ab und zu mag es vorkommen, dass wir uns auch mal nicht sehen. Manchmal verbringen wir einen freien Tag auch ganz bewusst getrennt verbringen; oder die andere Hälfte ist mal ein paar Tage ausgeflogen. Das können wir sehr genießen, diese Zeit für sich selbst ist wichtig. Genau so freuen wir uns aber wieder, wenn es weiter geht. Insgesamt sind wir sehr happy und manchmal selbst etwas überrascht, wie gut diese Kombination für uns funktioniert.
MIXOLOGY: Liebe Jules, lieber Timo, wir danken Euch für das Gespräch!