Regensburg ist die Stadt mit den zweieinhalb nennenswerten Bars, und im vollen Bewusstsein darüber, welcher Streit über Nummern eins und zwei entbrennen wird, widme ich mich mit diebischem Vergnügen dem halben Platz dahinter.
Wobei, was heißt schon „dahinter“? Aber gemach.
Der zweieinhalbte Platz im Regensburger Bar-Ranking geht an – Trommelwirbel – das Palletti! Nun muss ich vielleicht erwähnen, dass der halbe Platz keineswegs qualitative Gründe hat. Mitnichten! Das Palletti hat seinen halben Platz ausschließlich deshalb, weil das Regensburger Publikum in seiner Mehrheit überhaupt nicht zu realisieren scheint, was das Palletti mixologisch auf die Beine stellt und dementsprechend den Bar-Anteil maximal, optimistisch kalkuliert, zu 50 Prozent wertschätzt. Laut dem Bamberger Kollegen Sven Goller macht das sein Regensburger Pendant Tobi Nerb auch zu „Deutschlands unterschätztestem Bartender“.
Man mag nicht widersprechen.
Kleinod in der Pustetpassage
Das Palletti ist allerdings ein gastronomischer Zwitter, und mit so etwas hat der Deutsche, der ja auch bei der Wahl seiner Restaurationen wenig genderfluid agiert, ganz allgemein Probleme. Das Palletti ist eben nicht nur Bar, sondern auch Café mit einem vorzüglichen Mittagstisch, und den entsprechenden Öffnungszeiten. Auch das mag ein Grund dafür sein, weshalb das Palletti in den Augen der Regensburger Öffentlichkeit nicht als vollwertige Bar wahrgenommen wird.
Spoileralarm: Es ist eine.
Und jetzt feiert das Palletti Jubiläum; ganze vier Jahrzehnte gibt es das Kleinod in der Pustetpassage schon. Der dritte Grund für den mangelnden Respekt ist möglicherweise, dass man einem Lokal mit einer derart langen Historie kaum zutraut, mixologisch auf der Höhe der Zeit zu sein. Die jetzigen Betreiber sind allerdings erst seit 2010 am Ruder und haben sich die Arbeit nach Kompetenz und Neigung aufgeteilt – Rainer Festl hat die Küche unter sich, während sich Tobi Nerb als Fürst des Flüssigen geriert – und immerhin hat die fußballerische Ahnungslosigkeit des Sechzger-Fans Festl keinerlei negativen Einfluss auf seine Kochkunst; und so liefert er, getreu der Schumann’s-Maxime, wonach jede Bar auch eine Küche braucht, den Gästen verlässlich einen Grund, nicht über einen Ortswechsel nachdenken zu müssen, wenn einen der Hunger packt.
Das Konzept, so modern es auch erscheint, wird hierzulande außerhalb der Metropolen noch erstaunlich selten praktiziert, obwohl die Vorteile augenfällig sind: je kürzer die Schließzeiten, desto mehr Umsatz kann generiert werden. Einziger Haken dabei: Der Gast muss akzeptieren, dass aus seinem Lieblingscafé über einen Zwischenstopp als Restaurant an der Endstation eine Bar wird.
Das ist das eigentlich Bemerkenswerte am Palletti: Es ist so unaufdringlich revolutionär, dass es auch von einem Publikum akzeptiert wird, das nicht gerade berühmt für seine Aufgeschlossenheit ist. Der Regensburger an sich rechnet ja immer noch gerne in Mark, und man muss schon froh sein, wenn es keine Reichsmark sind (und, ja, mich verbindet eine innige Hassliebe mit meiner Heimatstadt). Und, schließlich, was ist schon von einer Stadt zu halten, die ein Kaliber wie den Nerb Tobi zu den ihren zählt und von ihm nichts anderes will als Aperol Spritz. Als würde man von Michelangelo verlangen, das Haus vom Nikolaus zu malen.
Subtile Beeinflussungen
Nun habe ich zugegebenermaßen einen eher autistischen Ansatz, was mein persönliches Anforderungsprofil an eine Bar angeht; ich musste allerdings bisweilen schon feststellen, dass Gastronomen in aller Regel Gäste viel weniger störend finden als ich, was wohl daran liegt, dass sie betriebswirtschaftlich denken müssen und ich nicht. Worauf ich hinauswill: Das Palletti ist dem unterworfen, was das Finanzamt im schönsten Amtsdeutsch als „Gewinnerzielungsabsicht“ bezeichnet; in Schönheit sterben will man auch hier nicht, obwohl das eine Regensburger Spezialität zu sein scheint. Also verkauft man, was auch nachgefragt wird, weiß sehr genau, dass man dem Regensburger nie besserwisserisch kommen darf, und setzt somit auf subtile Beeinflussungen zur Änderung des Kundengeschmacks.
Ein Bamberg wird aus Regensburg eh nicht mehr.
Nur Profis lassen es leicht aussehen
Und all denen, die müde lächelnd schon immer ganz genau wussten, dass man mit so einem Lokal an so exponierter Stelle ja gar nicht anders könne, als Geld in großer Menge zu scheffeln, sei gesagt, dass vor der Übernahme der jetzigen Pächter das Palletti ein Ort war, an dem man beim Genuss seiner Tasse Nescafé höchstens mal von einem vertrockneten Busch gestört wurde, den der Wind gelegentlich vorbeitrieb. Also Vorsicht mit Aussagen à la „da ist es doch nicht schwierig.“ Erfolg ist immer schwierig, und nur Profis lassen es leicht aussehen. Das klassische Duck Syndrome: über Wasser scheint alles ruhig und elegant, aber unter der Wasseroberfläche wird gestrampelt.
Für den Cocktail-Afficionado gilt: Das Palletti ist ein untypischer Geheimtipp, weil er es nichtsdestominder zu einem ungemeinen Erfolg gebracht hat.
Jetzt wurde also gefeiert, und vielleicht hat der ein oder andere Gast die Gelegenheit genutzt, um seine Nase mal in die Nerbschen Eigenkreationen zu halten. Er wird nicht enttäuscht worden sein, weder vom Last of Oaxaca, einem Twist auf den Last Word, noch vom Quittengimlet, und schon gleich nicht vom William Tell – einem Drink mit einem Birnenbrand des Schweizer Destillateurs Lorenz Humbel, mit dem Nerb seit langen Jahren eine fruchtbare Kollaboration pflegt und der mittlerweile für das Palletti sogar einen eigenen Gin brennt.
Tobi Nerb reagierte damit auf die versteckte Preiserhöhung des Lieferanten seines bisherigen Pouring Gin, eines Big Players im internationalen Spirituosengewerbe. Auch das ist Regensburg: stadtcharakteristisch ist eine gewisse Sturheit, besonders dann, wenn man sich mit obrigkeitlichen Ungerechtigkeiten (und zu solchen zählt auch die Großindustrie) konfrontiert sieht. Auch das Doppel-L in der Schreibweise mag ein stiller Protest gegen das Diktat von Konrad Duden sein; man weiß es nicht genau.
Ansonsten ist das Palletti, das den Satz „Gerne mixen wir auch deinen Lieblingsklassiker“ sehr zu Recht auf der Karte abdruckt, eine American Bar im besten Sinn, mit der Einschränkung, dass man es ihm halt nicht ansieht. Wenige, dafür erlesene Zutaten, sind das Geheimnis, und verbunden mit seiner besonderen Charakteristik als unter dem Radar laufendes Erfolgsmodell eignet sich das Palletti ausgezeichnet, um von der Fremdkreativität des Meisters zu … na ja … borgen.

Ich muss etwas beichten.
Lange bevor der Espresso Martini in aller Munde war (Pun inteded), hatte Herr Nerb den Corretto Martini im Programm, und ich gestehe, dass ich mich inspirieren habe lassen. Dass ich diverse Anleihen genommen habe. Und wenn man arg beckmesserisch unterwegs ist und keinen Pisco als eigenständigen Ersatz für ein Humbelsches Traubendestillat gelten lassen mag, dann könnte man vermutlich auch sagen, dass ich schamlos abgekupfert habe. Die Fruchtigkeit der Traube, gepaart mit einer entsprechenden Bohnencharakteristik – empfehlenswert wäre ein hoher Arabica-Anteil – führt zu einem Match made in Heaven.
Und ich habe damit, geben wir es ruhig zu, Triumphe gefeiert, grandiose Erfolge, die dem chronisch bescheidenen Nerb sowieso nicht zuzumuten gewesen wären.
So. Jetzt ist es raus.
Eigentlich kann er mir dankbar sein, der Tobi, dass ich ihn in aller Ruhe arbeiten lasse und die beschwerlichen Schattenseiten eines Lebens im Rampenlicht auf mich nehme.
Gern geschehen.





