Alles über Williamsbirnen-Brand

Queen Williams und ihr Hofstaat: Über den Status Quo von Birnenbrand an der Bar



B
irnenbrand wird immer populärer. Brände erobern auch zunehmend die Bar und wecken das Interesse der Gäste. Die Birne ist eine hochkomplexe, empfindliche, aromatische Frucht, die von den besten Brenner:innen der Welt veredelt wird. Haben wir sie kulturell schon erfasst und wirklich verstanden? Ein Dossier. 

Hochwertige Frucht-Edelbrände sind Verdauungsspirituosen, die in teuren Restaurants gereicht oder privat von Leuten getrunken werden, die sich das leisten können. Stimmt und stimmt nicht mehr. Im Zuge des fortschreitenden Trends zum Qualitätstrinken, Klasse statt Masse, sind Edelbrände verstärkt auch in Bars in größerer Varianz verfügbar und finden immer häufiger Eingang in filigrane Cocktail-Kreationen. Das hat seinen Preis, aber auch seinen gustatorischen Lohn. Frucht-Edelbrände sind höchste Handwerkskunst, die Rohstoffe sind das erlesenste Resultat aus Mikroklima, Terroir, Sonne, Temperatur, Erntezeitpunkt und der individuellen Könnerschaft des Destillateurs.

»Die Obstbrenner aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gehören handwerklich zu den besten der Welt«, konstatiert der international renommierte Spirituosen-Experte und Consultant Reinhard Pohorec aus Wien, der auch in der Bar Tür 7 tätig ist. Unter den Edelfruchtdestillaten hat sich seit geraumer Zeit vor allem die Birne in den Vordergrund geschoben, vor allem aus der Williams-Christ-Birne. Sie wird von manchen Produzenten und Konsumenten als heilige Frucht oder auch als König unter den vielen Birnensorten gefeiert. Immer mehr ambitionierte Bartender arbeiten für ihre elaborierten Cocktails damit; andere würden gerne, scheuen aber den Preis. Der Birnenbrand scheint jedenfalls von zunehmender Wertschätzung und in immer breiteren Kreisen für Interesse zu sorgen, ein Nischenboomer zu sein, der aber nie in Gefahr steht, einem Massenhype anheimzufallen.

Birnenbrand braucht Handwerkslust

Christoph Keller, der mit den Obstbränden aus seiner Stählemühle weltberühmt wurde, erklärte in einem seiner letzten Interviews, bevor er das Brennen aufgab, dem Wirtschafts-Vordenkermagazin brand eins die Essenz des Handwerks: »Wir destillieren unsere Brände nach einem hundertjährigen Kodex, rein aus handverlesenen Früchten und ohne jegliche Zusätze. Das ist alles echt und verursacht einen immensen Arbeitsaufwand, der eben seinen Preis hat. Glauben Sie mir: Diesen Unterschied kann jeder schmecken.« Warum es dennoch erhebliche Preisunterschiede gibt, vor allem bei Produkten aus dem Supermarkt, beantwortet er folgendermaßen: »Viele Industriebrennereien versetzen oft neutrale Industriealkohole oder Brennerei-Rückstände mit künstlichen Aromen plus Zucker, verzichten auf das Qualitätssiegel Brand oder Wasser und schreiben Spirituose auf das Etikett. Das erklärt nicht nur die eklatanten Preisunterschiede, sondern auch, warum Kirschbrand aus dem Supermarkt stets gleich langweilig schmeckt.«

Hier zusammengefasst die wesentlichen, sehr arbeits- und zeitintensiven Arbeitsschritte, die vor allem bei der Ernte mit erheblichen Personalkosten verbunden sind.

1. Ernte zum exakt richtigen Zeitpunkt. Teilweise Nachreifung an kühlem Ort.

2. Obst und Früchte handverlesen, nur absolut gesunde, aromatische und unbeschädigte werden verarbeitet. Je höher der Zuckergehalt, desto höher die Alkoholausbeute.

3. Entkernen (Steinobst), Entstielen, Putzen.

4. Mit Wasser und Hefe (meist industrielle Gärhefe, selten Spontanvergärung mit wilden Hefen).

5. Gärführung: Kontrolle von Temperatur, Konsistenz, Verrühren mehrmals am Tag bis zum Beginn der Gärung. Gärdauer 3 bis 14 Tage.

6. Schonende Destillation, Abtrennung von Vor- und Nachlauf.

7. Ruhende Lagerung in Stahl, Steingut oder Glas.

8. Herabsetzen auf Trinkstärke mit Quellwasser (mindestens 37,5 % Vol.).

9. Teilweise Nachreifung in speziellen Holzfässern.

Anschließend erfolgen natürlich noch Abfüllung, Verschluss und Etikettierung. Abgesehen davon, dass hier Kapital teilweise über Jahre gebunden wird, bevor es durch den Verkauf amortisiert werden kann, darf es vor dieser Arbeit und währenddessen zu keinen Malheurs oder Katastrophen kommen: Hagelschlag, Essigbakterien bei falschen Gärtemperaturen oder hygienische Mängel führen mitunter zum Totalausfall eines Jahrgangs. Im Übrigen sind hochwertige Birnendestillate immer Brände, keine Geiste. Bedeutet: Der Alkohol stammt immer aus den vergorenen Birnen selbst, es werden nicht einfach Birnen in Neutralalkohol mazeriert.

Birne Galore

Birnen sind seit dem Mittelalter in Europa bekannt, seit dem 18. Jahrhundert begann man mit einer umfangreichen Revision in der Selektion und Neuzüchtung des riesigen Sortenreichtums. Heute werden die Wissensstände dazu in Gen-Datenbanken festgehalten, beratend stehen Spezialisten des deutschen Pomologen-Vereins zur Seite. Historisches Grundlagenwissen vermittelt die exorbitante Darstellung zur deutschen Obstbaugeschichte und zu über 260 Birnensorten im Illustrierten Handbuch der Obstkunde von 1960. Auch, wenn die wenigsten davon jemals den Weg in eine Flasche oder ein Glas Marmelade finden, sind sie wesentlicher Bestandteil der Kultur und Landschaftspflege.

Die Einteilung erfolgt in Sommer-, Herbst- und Winterbirnen. Darunter illustre Namen, die heute noch populär sind oder früher einmal waren. Blutbirne, Stuttgarter Gaishirtle, Gute Luise, Speckbirne oder Alexander Lucas seien hier erwähnt. Hinzu kommen noch sogenannte Mostbirnen, die teilweise ebenfalls zu Spirituosen verarbeitet oder zur Saftproduktion genutzt werden. Bekannteste Vertreter sind Gelbmöstler und Schweizer Wasserbirne.

Besonderes Augenmerk muss der Sorte Williams Christ gelten, deren Nachweis auf das spätere 18. Jahrhundert in England gelungen ist. Sie gilt als König unter den diversen Sorten und ist heute Benchmark unter den Birnenbränden. Im Irrtum ist, wer sie mit dem unseligen König William IV. in Verbindung bringt. Der Regent war bekannt für schlechte Manieren, Raufereien und großzügigen Alkoholgenuss, mitnichten also mit den zarten Eigenschaften der Frucht in einer Liaison. Vermutlich stammt der Name von einem Gärtner namens William aus London. Der Beiname »Christ« geht vermutlich auf den heiligen Franz von Paola zurück. Andere legen sich auf den Pomologen Christ fest, der von 1786 bis 1813 als Geistlicher im hessischen Taunus wirkte.

Geerntet wird Ende August bis Anfang September. Die Williams ist gelbgrün, mit teilweise roten Einfärbungen an der Sonnenseite. Kenner beschreiben gerne den »schmelzenden, schlotzigen« Biss, das ausgeprägte Aroma und das fruchtige Volumen, das ohnegleichen sei. Nicht nur Edelbrände entstehen aus der Williams Christ, sondern ebenfalls Liköre, Konserven, auch als Tafelobst ist sie beliebt. Die Brenner schwören aber nicht nur auf die Williams Christ, manche haben auch weitere Sorten bis zur Perfektion verarbeitet. Andere suchen bewusst neue Wege in der Produktion. Eine Wechselwirkung existiert dabei sicherlich vor allem zwischen hochwertigen Bars und Bränden, ganz spezifisch zum Birnenbrand. Hierzu noch einmal Christoph Keller: »Ja, ich finde es auch wunderbar, wenn junge Leute in Bars plötzlich wieder heimische Brände ordern. Die Mexikaner haben ihren Tequila, die Schotten Whisky, wir haben unsere Obstbrände. Sie sind Destillate unserer mitteleuropäischen Kultur und kulinarischen Tradition, zumindest hier in Süddeutschland.«

Sievert arbeitet mit Ultraschall-Zelldisruption zur Extraktion bioaktiver Verbindungen und mit Labor-Homogenisatoren. So manche Maische wird unter Schutzgasatmosphäre verarbeitet, die keine Oxidation zulässt.

Spiritus Rex im Kaisersaal

Süddeutschland? War da nicht was mit dem Geist von Malente? Das ist zwar inzwischen ein abgedroschenes Wortspiel bei Insidern, aber so mancher will das ja erst werden. Der Berliner Barmanager Arnd Henning Heissen aus dem neuen Frederick’s schwärmt von den Bränden aus Malente, die Matthias Sievert unter der Marke Spiritus Rex ans Licht der Welt zaubert: »Das ist absolute Champions League. Natürlich hat das seinen Preis. Aber eines ist klar: Mit billigen Industrieprodukten braucht man erst gar nicht anfangen, das hat keinen Mehrwert. Die Williams-Birne ist eine sinnliche Frucht von ungeheurer Aromatik, prädestiniert zum Mixen. Manchmal reicht nur ein Barlöffel, z.B. von der Wahlschen Schnapsbirne, um die gesamte Konstruktion eines Shortdrinks zu verändern.« Er könne nebenbei dann teilweise auf Zucker verzichten, etwa, wenn er die Rote Williams C von Spiritus Rex verwende: »Da ist die rote Williams noch eine Zeit im Kastanienfass gelagert, sensationell.«

Zudem weist er darauf hin, dass in den weltweit meistverkauften Parfüms der Duftstoff von Williams enthalten sei. Insgesamt könne man festhalten, dass es einen klaren Imagetransfer bei Obstbränden gebe, vor allem bei jüngeren Gästen, »die sehen schon lange nicht mehr den Verdauungsschnaps, sondern die ungemein dichten Aromen«.

Heissen empfiehlt, mit dem »Toreador Cocktail« zu experimentieren und zum Tequila Reposado einen Hauch Birne hinzuzugeben, Aprikose durch Marille zu ersetzen und mit der Limette zu spielen. Oder eine Abwandlung des Kir Royal, »La Vie et Belle«: Scotch aus dem Eichenfass, Birne Williams C von Spiritus Rex, Cassis, Tonkabohne, Patschuligeist und mit Champagner auffüllen. Bei derartiger Experimentierfreude nimmt es kein Wunder, dass Heissen im September 2022 eine eigene Cuvée aus deutschen und mexikanischen Produkten auf den Markt bringt. Einen Blend aus Obstbrand, Geist und Tequila unter dem Namen Lune Noir.

Grenzen des Machbaren

Viele Experten sehen in Matthias Sievert den legitimen Nachfolger von Christoph Keller. Nicht nur, weil er das Equipment seines Freundes gekauft und vom Bodensee in die Holsteinische Schweiz geschafft hat, sondern wegen seiner Innovationskraft. Der ehemalige Kuckucksbrenner und Händler für Pharma- und Medizinbedarf ist seit einigen Jahren Vollprofi im Brennereiwesen. Mit auf seine Bedürfnisse zugeschnittenen Anlagen, eigenen Streuobstwiesen und neuester Technik: aufwendige Drucktanks und Vakuumöfen. Er arbeitet mit Ultraschall-Zelldisruption zur Extraktion bioaktiver Verbindungen und mit Labor-Homogenisatoren. So manche Maische wird unter Schutzgasatmosphäre verarbeitet, die keine Oxidation zulässt.

Wer nun annimmt, Sievert würde ausschließlich mit »vergoldeten« Früchten arbeiten, geht fehl. Er lebt Nachhaltigkeit. Über einen bekannten Obstgroßhändler bezieht er via Rotterdam oder Hamburg auch mal eine Charge Birnen aus Südafrika, die hier keinen Abnehmer findet, da Teile der Ware beschädigt sind: »Das alles wegzuwerfen, ist ja Irrsinn, ich rette dann, was zu retten ist. Außerdem arbeite ich mit einer Geomarker-App, in die ich immer eintrage, wenn ich Interessantes entdeckt habe.« Auch Sievert singt das hohe Lied auf die Williams, die er aus Italien bezieht, hat aber schon mit mehr als zehn verschiedenen Sorten gearbeitet. Er hat 40 Bäume der Wahlschen Schnapsbirne gepflanzt, die Gute Luise und die Sommer-Muskateller zählen zu seinem Portfolio. Sievert ist bereit, Risiken einzugehen und die Grenzen des Machbaren auszuloten.

Fünf Birnenbrände, die die Vielfalt der Gattung gut zeigen: Nonino »Pirus di Williams«, Freimeisterkollektiv »Williams Rot/Gelb« (Brennereien Hiebl & Liebl), Spiritus Rex »Roter Williams C«, Kernstein »Alexander Lucas« und Scheibel »Moor-Birne«
Fünf Birnenbrände, die die Vielfalt der Gattung gut zeigen: Nonino »Pirus di Williams«, Freimeisterkollektiv »Williams Rot/Gelb« (Brennereien Hiebl & Liebl), Spiritus Rex »Roter Williams C«, Kernstein »Alexander Lucas« und Scheibel »Moor-Birne«

Tradition auch für die Bar

Jenseits der Grenzen, im Südwesten, in der wahren Schweiz führt seit einigen Jahren Gabriel Galliker-Etter zusammen mit seiner Frau die Geschäfte einer Institution. Die Familienbrennerei Etter besteht nun seit 152 Jahren in Zug in der Zentralschweiz. Bekannt für seinen Kirsch-Edelbrand, ist das Sortiment inzwischen enorm angewachsen. Williams wird in vier Varianten verarbeitet. Klassisch und klar, als Likör, als unfiltrierter und als fassgelagerter Williamsbrand. Die Fässer sind gebrauchte Pinot Noir, da sie zwar Farbe und Finesse abgeben, aber das Aroma kaum beeinflussen. »Wir beziehen unsere Birnen seit 50 Jahren von dem gleichen Bauern aus dem französischen Wallis. Da herrscht ein tolles Mikroklima. Sonne, Wasser, Bodenbeschaffenheit, alles optimal. Die Fruchtbrandherstellung ist die Königsdisziplin, aber ohne optimale Früchte geht nichts. Wenn nichts mehr dazwischenkommt, erwarten wir dieses Jahr eine gute Ernte«, so Galliker-Etter. Auch er preist die Williams als die fruchtigste Sorte unter den Birnen an.

Bei der Ernte verfolgt er das Prinzip der Qualité jeune: Die Birnen werden unter hohem Personaleinsatz im letztmöglichen Moment vor der Überreife in kleinen Behältern geerntet, sortiert und verarbeitet, »das garantiert eine optimale Frische. Die Frucht darf keine Schläge oder braunen Stellen haben, nur die gelben bleiben.« Auch im Traditionshaus Etter erkennt man eine Hinwendung zur Qualität und eine deutlich steigende Nachfrage in Bars nach Fruchtbränden. »Man kann damit ja auch feine Cocktails kreieren, insbesondere mit der Williams Christ. Wir haben mal den ›Williams Dream‹ zusammen mit JP-Bartending entworfen«:

WILLIAMS DREAM

5 cl Williams-Brand

2 cl frischer Limettensaft 1 cl Zuckersirup

1 BL Maraschino

1 BL Williams-Likör

1 cl Triple Sec

3 Dashes Angostura

Lorenz Humbel ist ebenfalls kultureller Repräsentant einer langen Schweizer Brennertradition. Auch Humbel bezieht derzeit seine Birnen noch aus dem Wallis: »Mein Cousin hat aber einen Biohof in der Nähe, das wird für uns in der Zukunft interessant. Klar sind die Williams aus dem Wallis sehr speziell. Ich tue mich aber immer schwer mit der Bewertung, was besser ist. Ich denke, es geht auch um Unterschiede, die man erkennen und he- rausarbeiten muss.« Er erntet ebenfalls von Hand und lässt die Williams dann etwa 15 Tage nachreifen. Etwas leichter tut man sich da mit Mostbirnen, die vom Baum in Netze fallen. »Mostbirnen sind rustikaler als die lieblichen, zugänglichen Williams. Sie haben andere Ester und wirken adstringierend. Ich mag extensiv bearbeitete Früchte mit viel Aroma, das nicht schnell verfällt. Was aber beim Essen wichtig ist, etwa die Knickrigkeit, ist es beim Brennen nicht.«

Dem wachsenden Trend, mit Obstbränden in der Bar zu arbeiten, hat Humbel ein speziell abgestimmtes Produkt an die Hand gegeben. »Der ›XB eXtra Birne‹, ein Brand aus Williams und Mostbirne, ist schön komplex für die Bar. Die betörenden Aromen der Williams mit der intensiven, kräftigen Mostbirne ergeben eine ideale Kombinatorik zum Mixen.« So wie etwa der Bamberger Bartender Jan Ammensdörfer mit seinem Siegerdrink bei Humbels »Stork Trophy« gezeigt hat:

BIERNE

5 cl Humbel XB eXtra Birne 3 cl frischer Zitronensaft

2 cl Amaretto

1 cl Zucker

4 cl Sauerbier BFM »La Saison«

»Die Stuttgarter Geißhirtle ist eine Wunderwaffe, perfekt zum Essen und zum Brennen. Fester Biss, spritziges Fruchtfleisch. Frag mal den Bartender nach einem Brooklyn Lamp mit Williams! Wenn er was kann, erlebst du was.« – Florian Faude, Brenner

Williamsbirne oder nicht Williamsbirne?

»Die Birne muss kühl stehen, sonst verbrutzelt das Aroma, auch wenn man viel Zucker hat für die Alkoholausbeute«, ist das Credo von Florian Faude aus Bötzingen am Kaiserstuhl. An die Williams denke man natürlich immer zuerst, »aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir haben mit unserer Williams-Christ-Birne auch Top-Qualität im Angebot. Die kommen aus dem Markgräfler Land, sind nicht buttrig überladen, sondern feingliedrig und geschmeidig. Aber das ist ja noch lange nicht alles.«

Die Frucht wird noch kurz nachgereift und dann kühl bei 18 °C eingemaischt, nach sieben bis zehn Tagen ist die Gärung abgeschlossen, »nicht länger, sonst wird das Aroma ›veratmet‹«. Ansonsten verarbeitet Faude gerne die Alexander Lucas oder Mostbirnen. Auch die Wahlsche Schnapsbirne sei eine ausgezeichnete Brennbirne. Die habe mehr Zucker als die Williams und sehr typische Ester: »Sehr robust, mit einer guten Spätausbeute ist auch die Oberösterreichische Wein- und Mostbirne. Bananiges Aroma.« Generell seien die Früchte aus Österreich und Italien interessant, weil durch die Alpen eine natürliche Kühlung stattfinde. »Wir arbeiten noch mit alten, manchmal vergessenen Sorten wie Champagner-Bratbirne oder der Sommer-Muskateller. Die sind zwar zum Teil schwierig zu ernten, aber wir sind ja auch Kulturlandschaftspfleger«, definiert Faude. Dann schwärmt er noch von der Stuttgarter Geißhirtle: »Eine Wunderwaffe, perfekt zum Essen und zum Brennen. Fester Biss, spritziges Fruchtfleisch.« Birne und Bar? »Klar, frag mal den Bartender nach einem Brooklyn Lamp mit Williams! Wenn er was kann, erlebst du was.«

Andreas Vallendar ist nicht nur als Master Distiller von Ferdinand’s Gin bekannt, sondern liefert auch mit seinen The Mosel Distillers exquisite Spirituosen (so auch mit der Williams), die aufgrund des erschwinglichen Preises gerne bei Bartendern Verwendung finden. »Williams hat ein chemisch stabiles Aroma, das bei akkurater Verarbeitung erhalten bleibt. Die reife Frucht bindet optimal Klima und Terroir. Ideal für Edelbrände. Die Gute Luise eignet sich eher für die großtechnische Verarbeitung. Sie ist rustikaler, hat eine höhere Festigkeit in der Fruchtstruktur«, so Vallendar, der gelernte Chemielaborant.

Williams-Brände haben laut ihm in der Bar stark an Format und Bedeutung gewonnen, da sie aufgrund der Intensität in der Lage seien, einen Drink zu heben. Marco Beier, Betreiber der Bar Patolli, München, bestätigt das: »Wir arbeiten mit den Produkten von Mosel Distillers und machen relativ viel damit. Sours, Fizzes und Champagner-Cocktails. Das sind unfassbar fruchtige, aromatische Spirituosen, die durch den Fruchtauszug nach dem Brennen noch einmal gewinnen. Die Preis-Leistungs-Relation in der Qualität ist überragend. Wir bieten einen Himbeergeist Sour an, der aber auch mit Williams funktioniert. Sie zählen zu unseren meistverkauften Drinks. Demnächst legen wir eine eigene Seite für Cocktails mit Bränden in der neuen Karte auf.«

Manche halten Williams auch für überschätzt …

Einen ebenfalls modernen Ansatz verfolgt Felix Kaltenthaler mit seiner Kernstein-Serie. Allerdings ist er skeptischer, was die Verwendung von Edelbränden in Bars angeht: »Ich bin mir nicht sicher, ob das preislich und handwerklich für die Bar umsetzbar ist. Ist das nicht zu verkopft? Schmeckt der Gast das wirklich heraus? Natürlich habe ich auch Kunden aus der Welt der Bars, aber der Fokus liegt – außer Restaurants – nicht auf der Gastronomie, sondern beim Endkunden.«

Auch zur Königssorte Williams hat er eine klare Meinung: »Langweilig. Klar, leicht zu verstehen, eindimensional, kann jeder identifizieren. Aber dennoch lässt mich eine romantische, verrückte Idee nicht los. Ich will mit der Williams einen Overproof machen, es jedenfalls versuchen. Die Birnen von Kaltenthaler kommen aus Heppenheim am Berg. Ich arbeite mit dem großen, bösen Bruder der Williams, der Alexander Lucas. Sie besticht durch Zitrusnoten, ist mineralischer und kerniger, hat eine größere Bandbreite an Aromen.«

Nach der Ernte wird im Keller nachgereift. Dann noch eine Besonderheit: Als einer der wenigen Brenner setzt er auf die riskante Spontanvergärung mit wilden Hefen. »Da der Gärprozess 40 bis 60 Tage dauert, ist Sauberkeit oberstes Gebot. Das kann übel ausgehen, die Gärführung ist ein irrer Aufwand, Kühlung am Außentank, ständiges Rühren. Dann noch die Lagerung von zwei bis drei Jahren, und nach dem Abfüllen lasse ich das Endprodukt nochmals eine Weile liegen. Das hat dann auch seinen Preis.« Und eines gesteht er dann doch noch zu: »Ein Williams Negroni ist einfach nur schön und gut.«

»Die Williams ist eine heilige Frucht, mit ihr habe ich meinen ersten Schnaps gemacht. Aber auch eine Diva, man muss diffizil vorgehen. Wir ernten in drei Gängen. Zuerst 50% der grün-gelben, nicht vollreifen. Dann ab damit in den Kühlraum. Die Frucht braucht eine Kerntemperatur von 15 oder 16°C. Anschließend 35% der gelben mit einem schönen Biss. Dann die letzten 15 % vollreifen. Jede der drei Ernten wird separat vergoren. Dann brennen wir den Rohbrand einzeln.« – Hans Reisetbauer, Brenner

Die heilige Diva

Eine Reportage über Birnenfeinbrände kann nicht ohne Hans Reisetbauer aus Oberösterreich enden. Von seinem Williamsbrand aus einer der weltweit modernsten Qualitätsbrennereien erzählt man sich wahre Wunderdinge. Er verfügt über riesige eigene Baumbestände in Süd- und Südostlagen. »Die Williams ist eine heilige Frucht, mit ihr habe ich meinen ersten Schnaps gemacht. Aber auch eine Diva, man muss diffizil vorgehen. Wir ernten in drei Gängen. Zuerst 50% der grün-gelben, nicht vollreifen. Dann ab damit in den Kühlraum. Die Frucht braucht eine Kerntemperatur von 15 oder 16°C. Anschließend 35% der gelben mit einem schönen Biss. Dann die letzten 15 % vollreifen. Jede der drei Ernten wird separat vergoren. Dann brennen wir den Rohbrand einzeln. Im Ergebnis haben wir Schale, Frucht und Tannine im Geschmack. Zuletzt wird alles zusammen langsam und vorsichtig, damit keine oxidativen Noten entstehen, zum Feinbrand veredelt.«

Der gesamte Prozess ist voll digitalisiert, um in Echtzeit via Handy Korrekturen angezeigt zu bekommen, auch nachts um drei. Danach kommt das individuelle, sensorische Können mit der Abtrennung von Vor- und Nachlauf hinzu. Natürlich ist alles bio- zertifiziert. Es sprudelt aus Reisetbauer heraus: PH-Wert, Hanglagen, Staunässe, PV-Anlagen, eigener Teich zur Bewässerung, Rührwerk, Quellwasser, Lagerung, Alkoholgehalt, Gärführung: »Die Gärung ist das Wichtigste, nach der Frucht!« Und was machen die Bars damit? »Ja, ein Trend, der aus den USA kommt. Jim Meehan war ein Pionier. Aber nicht jeder kann damit arbeiten. Man benötigt Hirn und Gefühl für Balance. Aufpassen muss man mit Kräutern und Gewürzen, weil der Fruchtbrand ja im Prinzip ein fertiges, reines, perfektes Produkt ist. Man kann es einem unkundigen Gast kaum erklären, aber ein Cocktail mit Edelbränden muss mindestens 20€ kosten. Das ist die Königsklasse!«

Experte und Bartender Reinhard Pohorec sieht das fachlich genauso, gibt aber auch zu bedenken: »Wir sind noch nicht so weit. Das muss kulturell noch gelernt und selbstverständlich werden. Bars können dazu beitragen. Aber wir wissen ja, dass Innovationen aus der Bar vom Publikum erst mit erheblicher Verzögerung realisiert werden. Fruchtbrände selbst wie Birne sind reif dafür, man braucht vielleicht ein Leuchtturm-Erlebnis. Aber ich denke, es wird eher für eine breitere Nische interessant werden, nicht für die Masse. Schließlich sind die Ressourcen nicht unendlich.«

Womit Pohorec von der Tür 7 aus Wien dann ein Thema anspricht, das auf die Agenda der G7-Treffen gehört.

Dieser Text erschien erstmals in der Print-Ausgabe von MIXOLOGY 4-2022. Für diese Wiederveröffentlichung wurde er formal angepasst, aber inhaltlich nicht verändert. Informationen zur aktuellen Ausgabe von MIXOLOGY findet sich hier, Näheres zu einem Abonnement hier sowie Bestellung eines Einzelheftes hier.

 


 

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