In der Welt der österreichischen Fine Dining-Anbieter ist Andreas Senn ein Solitär. Als Person, die sich mit Rennradfahren stählt, ebenso wie mit dem Interieur seines mit zwei Michelin-Sternen dekorierten Restaurant Senns. Es befindet sich im Gewerbegebiet Gusswerk, das von der Vergangenheit der Glockengießerei Oberascher, einer bereits zu Zeiten des Erzbistums Salzburg aktiven Dynastie, erzählt. Wo in anderen Luxusrestaurants Kunst hängt, hat Senn daher eine massive Glocke vom Holztram baumeln. Der Kontrast zu der offenen, mit Stein verkleideten Küche des Lokals zählt zu den Reizen, ehe noch das Amuse bouche aufgetragen wurde.
Mehr Lockerheit
Die Lage ist einer der Gründe, warum Andreas Senn diesen Winter mit einer eigenen Bar startete. „Rund um uns arbeiten allein 700 Personen“, rechnet er vor. Ein großer Teil davon sind Repräsentanten internationaler Modemarken, die hier ihre Austro-Zentrale haben. „Doch auch deren Manager wollen mit Kunden nicht immer auf das große Menü zu uns kommen.“ Senn ist ein Mann klarer Worte und sieht die Erweiterung um einen Bar-Bereich auch als Reaktion „auf veränderte Konsumgewohnheiten“. Knackpunkt dieser Überlegungen, zugänglichere Angebote als sein 210 Euro-Menü zu schaffen, war aber, die DNA des etablierten Spitzenrestaurants nicht zu verlassen. Von Sushi oder anderen „Light“-Varianten seiner Küche, einer Art „Bistronomy“ mit Salzburger Akzent rückte Senn daher ab.
Am Ende wurde es eine Bar, in der das Austro-Kulturgut „a guades Glaserl Wein“ ebenso genossen werden kann wie elaborierte Küche. Wer möchte, findet sogar Château La Mission Haut-Brion 2014 „by the glass“. Abstriche macht auch die Küche der Bar nicht. Zum Boulevardier (18 Euro) gibt es acht Gerichte in jener Form, wie sie auch im Nebenraum in der Menüfolge gereicht werden. Auch die thematische Klammer zum flüssigen Angebot war schnell gefunden, denn jede Speisenfolge im „Senns“ startet mit den fünf Geschmackssinnen, auf Steinen serviert. Dieser Gang ist arrangiert wie das S-förmige Logo und er bildet auch die Basis für die „Sen(n)sationen“ – die fünf Signature Cocktails des Thomas Kracher.
Vom Durst der US-Amerikaner
Der kommt als gelernter Koch und späterer Sommelier (u.a. im Mozart&Wein, St. Gilgen) ursprünglich vor allem vom Wein. Was gegenwärtig sich eine gute Basis für eine Bar darstellt, doch fürs Mixen ist das zu wenig. Kracher ist der Erste, der das festhält: „Da gibt es Menschen, die das ihr ganzes Leben machen“, will er sich nicht mit Bar-Profis vergleichen. Doch zum einen sei die Nachfrage aus der Gästeschar groß gewesen. Vor allem Amerikaner, die Salzburg nicht nur zur Festspielzeit lieben (Stichwort: „Sound of Music“), ordern auch zum Menü mal einen Martini oder Old Fashioned (16 Euro).
Tatsächlich gab es immer eine kleine Cocktailkarte, die neben erfrischenden „Fizzes“ – etwa mit Yuzu und Champagner (24 Euro) – auch Klassiker wie Negroni und Whiskey Sour (18 Euro) offerierte. Allerdings sei diese in den zwei Jahren, die Kracher das Service leitet, „vielleicht vier Mal angeschaut worden – der Rest geht über Empfehlungen“. Dazu kam der bereits länger praktizierte Serve, zu Senns fünf Amuse bouches auch einen „sinnlichen“ Shot zu servieren.
Auch im Flüssigen das Niveau halten!
Eine Basis war also gelegt, doch den endgültigen Anstoß gab die Nutzung des Entrées im Gusswerk, das zwar über einen Tresen verfügte, der aber außer ab und an für einen abschließenden Schampus selten eine Nutzung erfuhr. Denn: Im Senns mit seinen 20 Gedecken wartet niemand auf einen Tisch; man muss keinen Gast „kurz an die Bar bitten“. Nun aber tut man genau das. Denn auch die Senns-Terrasse erfährt so ein Upgrade – in Richtung Afterwork de luxe. Dank Coravin werden Premier Crus ebenso wie Veltliner und Blaufränkisch glasweise angeboten; die offenen Weine hat Kracher auf 30 aufgestockt. Zudem wird die Menü-Weinbegleitung auch in der Bar verfügbar sein. Mit rund 50 Spirituosen ist aber auch ein Anfang in Sachen Cocktailkultur gemacht, der satisfaktionsfähig ist.
Bewusst hält man die Kategorien schlank, aber interessant: „Unsere Gäste erwarten auch bei den Spirituosen, überrascht zu werden“. Rutte Gin steht so neben dem „Thoralm“ vom Wolfgangsee in seiner markanten Steingut-Flasche. Bei den Agaven kann man zwischen Arrete Reposado und einer südafrikanischen Option („Hope“) wählen. Der vielleicht beste Drink aus der Sauer/Süß/Bitter/Salzig/Umami-Riege verwendet auch besagten Tequila und verwandelt ihn in die Senns-Fassung eines Pornstar Martini. Mit Passionsfruchtpüree und einer Vanille-Blase aus dem Flavour Blaster – „ein Showeffekt“ – wird daraus ein überraschend komplexer Drink. Dazu trägt neben dem erdig-herbalen Reposado vor allem der gewählte Champagner bei.
Mit Sommelier-Sensorik als Superkraft
Genau hier schmeckt man Krachers Expertentum heraus – der Blanc de Blancs von Leflaive aus Avize ist ebenso großzügig, was das Mundgefühl angeht, als auch präzise in seiner Säure. „Spitzer sollte sie nicht sein“, bestätigt der Neo-Barchef unseren Eindruck. Damit kommt man einer mixologischen Leitlinie näher, die alle fünf Cocktails prägen. Denn auch der „Sauer“ soll nicht eindimensional sauer sein. „Die Drinks sollen die Gerichte niemals überpowern“, formuliert es Kracher. Das zeigt die reduzierte Süße des „Sauer“ ebenso wie der fehlende Zucker des „Bitter“.
Seine Gussform ist ein Espresso Martini, wobei mit dem Nitro-Cold Brew des Salzburger „Afro Coffee“ darauf geachtet wird, ja nicht die Gerbstoffe des Kaffees zu verlieren. Es ist beinahe eine Wurzel-Bitterkeit, die man da auf den Gaumen hat. Vorrangige Zuckerquelle ist der Mr. Black-Likör, der gesamte Drink kann aber bestens zu allen leicht karamellisierten „Menü Impressionen“ gereicht werden, wie Andreas Senn sein Barfood nennt. Aktuell wäre das etwa das Bao Bun mit Mangalitza-Schweinebauch und Hoisin Sauce (acht Euro).
Die Preispunkte der Barkarte sieht Senn auch als eine Einladung an, „Schwellenängste abzubauen“. Wer ein, zwei Mal die Gerichte und einen Drink gekostet hat, „kommt dann vielleicht auch auf die Idee, seinen Geburtstag bei uns mit einem Menü zu feiern“. Denn es gibt nur eine Küche und nur eine Bar – function follows form in der neuen Senns Bar.
Die saisonale Seite der Geschmackssinne
Daher hat sich schnell auch gezeigt, wie gut diese neue Form der Gastronomie von den Möglichkeiten der Sterne-Küche und ihrer Möglichkeiten profitiert. „Wir arbeiten sehr oft mit Tomatenwasser als Zutat“, gibt der Spitzenkoch ein Beispiel. Thomas Kracher nahm diesen Stock dankbar auf und verwendet ihn für seine Paloma. Denn auch die macht er auf Gästewunsch. Dass es lediglich fünf Signatures gibt, sieht er dabei nicht als Nachteil. Das lasse den Gast im neuen Setting der Bar schnell zu einer Entscheidung finden. „Wenn ich Süße mag, werde ich als erstes zu meiner Lieblingsgeschmacksrichtung greifen.“
Dazu ist das Modell der fünf Geschmackssinne auch ein Rahmen, in dem jederzeit ein saisonaler Neuzugang (der „Sauer“ etwa mit Rhabarber) möglich ist. Beim Essen wechselt das Angebot ohnehin alle sechs bis acht Wochen mit dem neuen Menü mit. Offenkundig ist die Ernsthaftigkeit, mit der man die neue Bar-Liebe in Salzburg-Kasern herangeht. Die großen Ice Cubes etwa, anderswo in der Salzach-Stadt fertig aus München oder Wien geliefert, sind ebenfalls Sache des Restaurantleiters. Der Schockfroster macht es möglich – erneuter Dank an die Küche!
Im Idealfall arbeitet Thomas Kracher sogar daran, sich als Barchef abzuschaffen. Geht das Konzept der Senns.Bar auf, wird sich auch ein hauptamtlicher Bartender ausgehen, hat er mit Andreas Senn vereinbart.
Nur, falls jemand Initiativbewerbungen planen sollte….