Slivovitz: Ein Zwetschgenschnaps kämpft gegen sein schlechtes Image

Slivovitz: Ein Zwetschgenschnaps kämpft gegen sein schlechtes Image


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livovitz leidet noch immer unter einem schlechten Ruf. Den hat er teilweise zu recht, doch ein guter Slivovitz ist etwas Großartiges. Aber was genau ist „Slivo“ eigentlich, dieser gemeinsame hochprozentige Kulturbegriff des Balkans und Osteuropas?

Slivovitz oder Sliwowica? Oder schlicht Sljivo? Zugegeben: Auf den ersten Blick ist es für den dialektal ungeschulten Mitteleuropäer schwierig, durchzublicken. Dabei ist des Rätsels Lösung viel einfacher als zunächst vermutet. Denn egal, ob man nun von Slibowitz, Slivovic, Slivovitz, von Slivovice, ślivowica oder šljivovica spricht – gemeint ist eigentlich das grundsätzlich Gleiche: Ein Obstbrand aus Zwetschgen, der im gesamten ost- und südosteuropäischen Raum als fester Kulturbegriff etabliert ist. Am Ende auch einfach einleuchtend, leiten sich doch all diese Begriffe von sljiva oder sliva ab, was nichts anderes heißt als – richtig! – Zwetschge. Im Prinzip nichts anderes als die deutschsprachige Tradition, Obstbrände schlicht z.B. als „Kirsch“ oder „Willi“ zu bezeichnen.

Von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer: im Zeichen der Zwetschge

Slivovitz oder Slivo (und all seine anderen Schreibweisen) meinen also nicht ein ganz spezifisches Produkt, sondern eine Familie von Destillaten aus Zwetschge bzw. Pflaume, deren Tradition vom östlichen Mitteleuropa bis an den Balkan und das Schwarze Meer reicht.

Dass sich regionale oder nationale Stilistiken voneinander unterscheiden, sollte klar sein: Schließlich verwundert es nicht, dass Früchte aus Polen anders schmecken als solche, die im südlichen Ungarn oder Moldawien gewachsen sind. Ebenso gibt es klaren und fassgereiften, also goldfarbenen Slivovitz. Übrigens wird auch in der Steiermark Slivovitz hergestellt. Ebenso zählt die EG-Spirituosenverordnung zu den wenigen geschützten Herkunftsbezeichnungen für Slivovitz neben Bulgarien und der Slowakei auch die ostitalienischen Provinzen Venetien, Friaul und das Trentin.

Der zweifelhafte Ruf des Slivo

Bis heute hat Slivovitz vielfach mit dem Ruf als Billigschnaps zu kämpfen, und an diesem Vorurteil ist nicht alles falsch. Das liegt einerseits daran, dass er in seinen Heimatstaaten teilweise noch immer in vergleichsweise archaischer und wenig professioneller Weise entsteht und somit bisweilen extrem hochprozentig und/oder sehr unsauber daherkommt – bis hin zum Enthalten giftiger Alkohole wie Methanol.

Für tschechischen „Slivovice“ hingegen gestattet die EG-Verordnung, dass vor der letzten Destillation Neutralkohol aus Agrar-Herkunft zugesetzt werden darf. Diese Verlängerung mit kostengünstigem Sprit ist zwar gesundheitlich unbedenklich, verzerrt aber natürlich gegenüber dem unbedarften Verbraucher den Eindruck eines reinen Fruchtbrandes.

Guter Slivovitz: Nur die Frucht darf in den Kessel

Hochwertiger Slivovitz besteht nur aus vollreifen Zwetschgen. Bei Früchten mit hohem Zuckergehalt können 100 Kilogramm Früchte bis zu 6-7 Liter fertigen Brand ergeben. Bester Slivo ist immer zweifach gebrannt und wird vor der Abfüllung auf die Flasche mit demineralisiertem Wasser oder Quellwasser auf eine Trinkstärke von mindestens 37,5% Vol. herabgesetzt, gute Produkte liegen oft über 40 Volu-menprozent.

Außerdem lagern qualitätsbewusste Hersteller – wie es sich für Obstbrand gehört – auch die klaren Destillate eine Zeit lang in Behältern aus Glas, Steingut oder Edelstahl, um dem Brand Gelegenheit zur Abrundung zu geben. Erfolgt eine wirkliche Fassreifung, dann üblicherweise in Eichenholz, es sind aber auch etwa Robinie oder Maulbeerbaum anzutreffen.

Das Getränk der armen Leute?

Stehen Teile Osteuropas und des ehemaligen Jugoslawiens noch heute als Symbole für das ländliche, teils in Krisen verfallene Armenhaus Europas, so wird auch der Slivo von jenen Gerüchten schnell eingeholt. Zum Getränk des armen Mannes wurde er vor allem durch die zahlreichen Schwarzbrenner, die munter ihr Wesen trieben und alleine in Tschechien erheblichen Verlust im Staatshaushalt verursachen. Verlust? Ja, denn die Praxis der „Lohnauftrags“-Fertigung von Spirituosen ist nicht nur in unseren heimischen Gefilden gang und gäbe, sie erfreut sich auch in Osteuropa einer regen Zunahme.

Einnahmequelle Slivo

So gibt es in Tschechien beispielsweise mehr als 300 kleinere Destillen, die einzig und allein durch dieses Geschäft überleben: Obstlieferer können dort unkompliziert und vor allem sauber ihre Zwetschgen brennen lassen und müssen im Gegenzug lediglich eine Verbrauchssteuer an den Staat leisten. So romantisch und heimatliebend dies auch klingen mag, die staatlichen Auflagen und Reglementierungen sind alles andere als das, denn natürlich werden diese Destillen streng überwacht und mit einem Messgerät versehen. Die hierauf zu zahlende und eben erwähnte Verbrauchssteuer wiederum ist eine willkommene Geldquelle des Haushalts.

Um dieser Forderung der Regierung zu entgehen, brennen viele Familien ihren Schnaps ganz einfach selbst und übernehmen seine „Vermarktung“ bzw. den letztendlichen Verkauf. Ob das Endprodukt dann allerdings mit professionellen Destillaten mithalten kann, ja, das weiß am Ende vor allem der Geschmack.

Geschmackssache!

Der letztlich entscheidende Punkt: Ist Slivovitz eine moderne Spirituose für anspruchsvolle Genießer? Oder gar für die heutige Bar und zeitgemäße Cocktails? Grundsätzlich ja, man muss einfach zwei Dinge tun: Erstens sich von den alten Assoziationen des „Weingummi“-Schnaps lösen, zweitens schlicht gute Qualität kaufen. Wie bei fast allen Obstbränden ist der Preis eine relativ zuverlässige Richtgröße für die Güte des Produktes. Dann wartet mit Slivovitz eine durchaus interessante Spirituosen-Kategorie, die nicht nur als pures Vergnügen, sondern auch im Cocktail funktioniert.

Besonders gut harmoniert das Geschmacksprofil klassischer Slivos übrigens im einfachen Sour, also sozusagen „aufgeschlüsselt“ mit Zitronensaft und Zucker. Ebenso kann bei der Paarung mit Wermut oder Sherry nicht viel schiefgehen. Und eine Kombination für Kenner wäre jene mit dem ebenfalls aus Kroatien stammenden Maraschino – vielleicht in einem Slivo-Last-Word mit Chartreuse und frischer Limette. Die Macher des noch jungen, frischen kroatisch-frankfurterischen Tesla Sljivo wiederum empfehlen die Verwendung in Highballs mit Tonic oder Ginger Beer.

Slivovitz hat Luft nach oben

Ob Slivovitz sich jemals komplett aus der Schmuddel-Ecke lösen kann? So lange unter seinem Namen in den Erzeugerländern (oder in zweifelhaften Restaurants) auch weiterhin vergleichsweise flächig Produkte niederer Qualität verkauft werden, wird deren schlechter Ruf auch an den guten Slivos haften bleiben. Das wiederum ist schade – denn in einer Zeit, in denen viele Verbraucher und Genießer nach urtümlichen, traditionellen Genussmitteln suchen, wäre Slivovitz eine schöne Bereicherung. Kann er natürlich auch sein. Aber man muss halt immer noch ein bisschen suchen.

 


 

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