Der Pickleback aus dem Salmon Guru in Madrid

Steins steter Tropfen: Der Pickleback im Salmon Guru

Unser Autor Martin Stein ist ein Cocktailreisender, der seine Zeit am liebsten in Bars verbringt. In seiner Serie „Steins steter Tropfen“ geht es um gute Getränke und Gedanken, die sie verbinden. Diesmal: eine Ode an den Pickleback des Salmon Guru in Madrid.

Man kann ja nicht immer nur mosern, oder? Na ja, kann man schon. Ist auch gar nicht so schwierig. Eigentlich ist ja jedes morgendliche Aufwachen verbunden mit der Erkenntnis, mehr Beschwerdegründe vorzufinden als noch vor dem Schlafengehen.

Jedoch: Hin und wieder freut man sich auch über etwas, das einen positiv überrascht, auch und gerade wenn es aus einer Ecke kommt, über die man vorher schon gründlich abgelästert hat. Bricht man sich ja auch keinen Zacken aus der Krone, das anzuerkennen. Man muss von seinem Testosteron-Thron herabsteigen, Bewegung schadet nicht, sagt mein Arzt, und für geistige gilt das ja zweimal. Bitte bedanken Sie sich für diese unvermutete Charakterbildung bei der didaktischen Strenge der Kollegin Reichert. Und bei meiner Mutter. Letztere war da zwar deutlich weniger erfolgreich, aber sie freut sich.

Salmon Guru und die Grandezza des Flüssigproleten

Ja, worum geht’s denn nun eigentlich? Um einen Cocktail geht’s, ganz konkret, und zwar um einen, den ich letztes Jahr im Salmon Guru in Madrid genießen durfte. Das Salmon Guru, das mittlerweile auch über Ableger in Mailand und Dubai verfügt, ist seit einiger Zeit in den 50 Best Bars vertreten – und zwar völlig zu Recht, wie ich finde. Die Bar ist ein wundervolles Beispiel dafür, wie man große Qualität mit einer Menge Spaß verbinden kann.

Überhaupt, Humor: Viel zu oft scheint man in Bars davon auszugehen, dass Humor den Drink schneller verwässert als jeder Hohlzylindereiswürfel. Man ist ja schließlich Mixologe und kein billiger Caipi-Schüttler! Wobei mancher Drink von etwas Humor mehr profitieren könnte als vom Espuma.

Der hier zu beschreibende Drink ist ein großartiges Beispiel dafür.

Wenn man beruflich Bars besucht, dann wählt man aus der Karte entweder das aus, was dem eigenen Geschmack am nächsten zu kommen scheint, oder, professionell und investigativ, die Komposition, deren Konzept die meisten Überraschungen verspricht, und bei dem man sich fragt, wie die das da auf dem Zettel wohl in etwas Trinkbares verwandelt haben mögen.

Das Salmon Guru hat einen Pickleback auf der Karte. Oder sagen wir: Nicht direkt einen Pickleback, denn der Drink beinhaltet weder Whiskey noch Gurke – aber einen Drink mit dem Charakteristikum eines Pickleback.

Auch wenn es schon vorher mixologische Versuche gab, diesem Flüssigproleten aus Whiskey und Gurkenwasser ein bisschen Erziehung angedeihen zu lassen, so bleibt der Pickleback doch nach wie vor eher eine Mutprobe als ein ernstzunehmendes Getränk, in einer Riege mit Würmchenmezcal und Würstchenwasser-Daiquiri. Dabei ist spätestens seit der Wiederentdeckung des Shrubs das Prinzip Essigsäure, haha, in aller Munde, gewissermaßen.

Der Pickleback des Salmon Guru, so viel sei gesagt, war ein bisschen mein Drink des letzten Jahres. Natürlich gefällt mir da schon der mutige und eben humorvolle Ansatz, der Anspruch, etwas Gutes machen zu wollen, ohne sich dabei selbst zu ernst zu nehmen: „Tatsächlich ist der Pickleback mehr eine Mutprobe als ein sorgfältig gefertigter Drink, und eben das war die Herausforderung. Ich wollte den kühnen und beinahe draufgängerischen Geist des Originals zu etwas Überraschendem veredeln – nicht nur durch seine Durchschlagskraft, sondern besonders dadurch, wie sehr man das dann tatsächlich genießt,“ so Diego Cabrera, der Erfinder des Drinks.

Pickleback als Frischewunder

Und, Herrschaftszeiten, das funktioniert, und wie! Der Pickleback mit seiner leichten Säure und der feinen Schärfe ist ein Frischewunder und ein innerer Bergsee unter spanischer Sonne, nur mit besserem Geschmack. Dieser Bergsee besteht aus einem mit Meerrettich mazeriertem Gin, einem Cordial aus rotem Paprika und baskischem Chili und kommt karbonisiert ins Glas. Eine Rezeptur, die in mir grundsätzlich erst einmal Argwohn anstatt Vorfreude erweckt. Selten jedoch wurde ich positiver überrascht.

Eigentlich möchte ich jetzt ganz dringend nach Madrid.

Wenn man dann einen Schritt zurücktritt und sich überlegt, was und warum denn da so gut funktioniert, dann kommt man schnell auf das, was bei Drinks, die mit Umami, Schärfe oder untypischen Säuren arbeiten, gerne verkehrt läuft: Es ist einfach meist zu viel. Die so verlockenden Aromen, die oft aus der Küchenkulinarik in die Coupette wandern, sind in der Regel so mächtig, dass man sie doch bitte schön mit großer Vorsicht handhaben sollte. Leider folgt die Mixologie manchmal auch den Irrwegen der Sterneküche: Kennen Sie das Gefühl, wenn im vierten Gang dann so ein Drei-Kubikzentimeter-Bollen auf den Teller kommt, in dem mehr Aromen konzentriert sind als auf einem Nachtmarkt in Bangkok? Quasi der Brühwürfel des Fine Dining. Dann muss man sich noch eine zehnminütige Erklärung zu diesem Foodie-Frankenstein auf dem Teller anhören, wonach dieser aber auch nicht besser schmeckt. Leider gibt’s diesen Brühwürfel mittlerweile ständig auch im Glas, gelöst in Alkohol.

Natürlich: Wenn man den Salmon-Guru-Pickleback mit dem Original vergleicht, dann wird man unschwer feststellen, dass es weder Hose noch Jacke des originalen Zweiteilers in die neue Version geschafft haben. Ja, was macht denn das dann zum Pickleback? Ist ja ein bisschen so, als würde man die Kohlrouladen der Oma nehmen, dann Seitan mit Quorn füllen und in Kimchi packen und behaupten, man habe nur ein paar kleinerer Adaptionen vorgenommen. Trotzdem erkenne ich auch im Tumbler des Salmon Guru das Original wieder, wenn auch in einer Distanz wie vom Homo Habilis zum Homo Sapiens. Vielleicht wird der Pickleback ja sogar noch ein Gattungsname, ähnlich wie das Gänseblümchen, das als Daisy oder Margarita mit oberirdischen Gewächsen arbeitet, während sich der Pickelback eher ums das Erdverbundene kümmert.

Man lausche diesem Guru

Aber ich schweife ab. Wie im doppelten Sinne erfrischend ist der Genuss von komplexen Aromatiken, ohne dabei das Gefühl zu haben, das Getränk vor einem wolle einen eher verprügeln als getrunken zu werden. Da hilft dann auch kein Schäumchen und Stäubchen und Blümelchen obendrauf; ein Rhinozeros in einem Tutu wird trotzdem keine gute Primaballerina abgeben.

Diese Pickleback-Version aber tanzt elegant im Glas, und es ist eine Freude, ihn dabei beobachten zu dürfen, wie er seine Pirouetten dreht, bevor man selber anfängt, Pirouetten zu drehen. Das Salmon Guru ist eh nichts zum Lange-Stillsitzen. Im Namen des Lachses, der nicht nur, wie Thees Uhlmann sang, zum Laichen und Sterben den Fluss hinaufzieht, sondern auch zwischendrin mal ein Päuschen an einer Bar einlegt, verkünde ich: Man lausche diesem Guru.

Er macht echt gute Sachen.


Fotocredit
Salmon Guru

 


 

Das Festival „Cocktail X“ in München steht in den Startlöchern für seine dritte Auflage, über 40 Bars sind dabei. Zusätzlich gibt es Rahmenprogramm für Barprofis.
Eine 22 Jahre alte Regelung sorgt für Tumulte: 100-prozentiger Rye Whisky aus Europa darf nun nicht mehr so heißen, solcher mit null Roggen aus Kanada hingegen schon. Der Kampf dagegen eint plötzlich sogar Konkurrenten.
Das Jahr 2024 war schwierig für viele Bars. 2025 macht nur wenig Anstalten, das zu ändern. Einen reinen Ausblick darauf, welche Drinks und Produkte den Ton angeben werden, mag man daher nicht schreiben. Man muss auch etwas abseits des reinen Cocktails denken.

Kommentieren

Ich habe die AGB und Datenschutzerklärung gelesen und bestätige diese.

Kommentare (0)