Phase Eins lief seit einem Jahr, nun beginnt Phase Zwei: Die Macher:innen um die London Cocktail Week rufen ihren „The Pinnacle Guide“ ins Leben. Es ist eine Art Sternenführer für Bars, der vor allem auch Bars abseits der Metropolen eine gleiche Chance auf Anerkennung geben soll. Der Aufwand dahinter klingt enorm. Kann das funktionieren?
Alles Blödsinn, das ist doch keine Frage! World’s 50 Best, Top500, World Class, und am Ende dann doch bloß ein zweiter Platz im Eierlikör-Vorentscheid Königs-Wusterhausen. Diese ganzen Wettbewerbe und Rankings, fraglich eins wie das andere, da stehen wir doch drüber, das interessiert uns einen feuchten Kehricht; keine irdische Eitelkeit soll je unsere reine Liebe zum Bartending beflecken.
Gut, falls man dann doch irgendwo vorkommt oder was gewinnt, dann kann man sich die Trophäe ja immer noch höflichkeitshalber ins Backboard stellen. Und auf Insta was posten. Fürs Bild so tun, als ob man sich freut. Und die Info mit in die Bio packen. Höflichkeitshalber, wie gesagt. Nicht, dass es uns auch nur das Geringste bedeuten würde. Ohne jetzt das Gleichnis vom Fuchs und den Trauben bemühen zu müssen: Natürlich bleibt jedes Ranking immer in irgendeiner Form kritikwürdig; wie in Herrgottsnamen soll man denn tatsächlich die qualitativen Unterschiede von Bars wie Paradiso, Tayēr + Elementary oder The Connaught benennen, die nicht viel mehr gemeinsam haben, als dass es da etwas zu trinken gibt?
Restaurants können auch in der Pampa überleben
Die Faszination des Wettbewerbs scheint sich unabhängig vom Resultat zu behaupten; den Ballon d’Or zum Beispiel hat meines Wissens seit Bestehen immer der Falsche gewonnen, und trotzdem fiebert die Fußballwelt der Verleihung unvermindert entgegen. Dem Streben nach Gerechtigkeit beim Beurteilungs-Spiel der Bars stehen etliche systemische Probleme entgegen. Neben der generellen Schwierigkeit, Qualität zu objektivieren, ist das vor allem das Problem des Scheinwerferlichts: Was die öffentliche Aufmerksamkeit angeht, scheißt der Teufel nach wie vor auf den großen Haufen, wie es so schön heißt. Während die großen Namen der Barwelt zumeist in den Metropolen und damit im Fokus der Öffentlichkeit sitzen, könnte ja irgendwo in den Außenbezirken von Hinterpfuiteufel die allergrandioseste Bar der Welt existieren, und niemand würde je davon erfahren.
Es könnte sich dabei um den letzten strategischen Vorteil der Restaurants gegenüber den Bars handeln: Restaurants können viel eher auch in der Pampa überleben, weil es genug Gäste gibt, die sich zu ihnen auf den Weg machen. Und weil es Restaurantführer gibt, die auch den Weg zu den entfernten Spitzenküchen weisen, beispielsweise den Guide Michelin.
Blöd, dass es so etwas für Bars nicht gibt … Moooment! Tatsächlich steht gerade genau so ein Projekt in den Startlöchern, das schon allein deshalb schon Respekt verdient, weil von vornherein klar ist, dass man sich mit kaum erfüllbaren Erwartungen beschäftigen, dass man kaum erfüllbare Hoffnungen erfüllen und eine überirdische Menge an Arbeit bewältigen muss – und dass, vielleicht mehr als je zuvor, all jene beleidigt und wütend reagieren werden, die das Gefühl haben, zu kurz gekommen zu sein. Also ziemlich viele.
Please welcome: The Pinnacle Guide
Und es begab sich zu jener Zeit, dass sich ein großes Mimimi erhob, welches erschallte weithin über die Fluren Kanaans… Die Fallhöhe eines derartigen Projekts, eines Michelin-Führers für Bars, ist derart hoch, dass man es höchstens Chuck Norris zutrauen würde; da der aber wohl keine Zeit hatte, kümmern sich nun Hannah Sharman-Cox, Siobhan Payne und Dan Dove um den Job. Ladies and Gentlemen, please welcome: The Pinnacle Guide!
Die Idee ist so einfach wie furchterregend: Im Gegensatz zu den oft ungleich verteilten Marketingbudgets kann sich jede Bar, unabhängig von Rang, Namen und Standort, um die Verleihung eines Pins bewerben – wie die Sterne der Essens-Gastronomie in der Abstufung von eins bis drei erhältlich. Die Bars werden anschließend besucht, anonym und mindestens dreimal: unangemeldet und an unterschiedlichen Wochentagen, um ein möglichst umfassendes Bild zu bekommen. Anschließend bekommt man seinen Pin oder auch nicht; jedenfalls soll man in jedem Fall hinterher die Möglichkeit eines Feedbacks erhalten.
Wer tut sich so etwas an? Sisyphos Reloaded? Tatsächlich sind die Namen hinter dem Projekt beeindruckend, und wenn man sich deren Vita so ansieht, dann könnte man tatsächlich auf die Idee kommen, dass das wirklich funktionieren könnte: Hannah Sharman-Cox und Siobhan Payne sind die beiden Damen, die vor vielen Jahren die London Cocktail Week aus der Taufe gehoben und zu einem der bedeutendsten Events der Branche überhaupt gemacht haben; Dan Dove bringt jahrelange Erfahrung als Brand Ambassador mit und betreibt eine weltweite Talent-Agentur für Bartender:innen. Diese Leute haben kein Netzwerk, die sind ein Netzwerk.
Durch Transparenz Vertrauen erzeugen
Bei aller Gigantomanie des Unterfangens: ohne ein solches Netzwerk geht es auch nicht, und man kann jedenfalls konstatieren, dass da nichts mit heißer Nadel gestrickt wurde. Während die Idee dazu schon vor etlichen Jahren geboren wurde, ging vor allem während des letzten Jahres die Vorbereitung in die heiße Phase. Unzählige Gespräche wurden mit den künftigen Betroffenen geführt, unzählige Details erörtert und letztlich die Idee mit so viel Substanz bepackt, wie es nur möglich ist, wenn man das Who’s Who der Szene als Ressource nutzen kann.
Das Endprodukt soll nun vor allem durch seine Transparenz das nötige Vertrauen erzeugen, anders als bei vielen anderen Ehrungen, deren Entscheidungsfindungsprozesse weitgehend im Dunkeln liegen. Die Kriterien der Bewertung liegen offen und sind auch als Instrument für jeden Barbetreiber und Barbetreiberin gedacht, um sich selbst zu hinterfragen: Bin ich denn wirklich so gut, wie ich immer dachte? Wo muss ich mich noch steigern? Ist es überhaupt sinnvoll, mich jetzt schon zu bewerben, oder gehe ich lieber vorher nochmal mit dem Besen durchs Lokal?
Idealerweise (und um mögliche Missverständnisse von vornherein zu vermeiden) soll sich auch jeder Interessent in seiner Landessprache anmelden können; der globale Ausbau des Portals soll genau in diese Richtung vorangetrieben werden. Nun, wie lange kann das alles dauern? Schwer zu sagen. Das ist eher keine Frage von Monaten, aber je größer der Zuspruch, desto schneller nimmt das Gefährt an Fahrt auf, gibt sich das Team überzeugt. Ab Mitte November wird das Anmeldeformular geöffnet, zeitgleich läuft die Auswahl der Testtrinker und deren Schulung. Und schon geht es los, zuerst im britischen Kerngebiet, auf dem Fuß folgend Spanien, den Rest lässt man erst einmal auf sich zukommen. Falls nun, so Siobahn Payne, etliche hundert Bewerbungen aus Deutschland kämen, dann würde man sich da schon fix darauf einstellen.
Was heißt das für deutsche Bars?
Überhaupt, Deutschland, du ungeliebte Brunhilde im globalen Schönheitswettbewerb der Bars! Ist das nun deine Zeit, zu glänzen? Natürlich, aber vorher sollte sich Brunhilde bitte schön die Kriterien ganz genau durchlesen. Der Geschmack der Getränke etwa wird in diesem Rating nur mit 25 Prozent gewichtet, was einerseits nach arg wenig für eine Verkostungsplattform klingt, andererseits aber den lang von mir gehegten Verdacht bestätigt, dass nicht zwingend der Geschmack dafür verantwortlich ist, ob’s schmeckt.
Ansonsten wichtig: Atmosphäre, Behandlung der Mitarbeiter:innen, Nachhaltigkeit und noch so einiges mehr. Auf Tinder hat man’s leichter. Übrigens gibt es auch absolute Ausschlusskriterien, wie das Übersehen einer Vorfahrt bei der Führerscheinprüfung. Hätten Sie gedacht, dass es ganz wunderbare Bars gibt, in denen man den Lokus nicht zusperren kann? Kleiner Tipp: Wenn Sie auf den Pin Wert legen, dann schrauben Sie ein Schloss an die Toilettentür.
Werden nun sowieso wieder die üblichen Verdächtigen aufkreuzen und nun eben ein neues Lobhudel-Schildchen an die Eingangstür schrauben? Bestimmt, aber eben nicht nur, weil es ja auch dem Grundgedanken des Pinnacle Guides widersprechen würde, der ja genau auch den eher unbekannten Lokalen diese Möglichkeit der Darstellung eröffnen will. „Ich wäre total von den Socken, wenn eine unbekannte Bar einen der ersten Pins erhalten würde,“ so Payne.
Vielleicht ist die weibliche Dominanz beim Pinnacle der entscheidende Vorteil. Als Maßnahme gegen das übliche Eierschaukeln.