Künstliche, naturidentische oder natürliche Aromen sind in Spirituosen nicht deklarationspflichtig, wie es beispielsweise bei Farbstoffen üblich ist. Für den Hersteller liegen die Vorteile auf der Hand. Was bedeutet es für den Konsumenten?
Aus der Nahrungsmittelbranche kennt man das Thema ja bereits. Aber wie sieht es eigentlich mit Aromastoffen in der Spirituosenindustrie aus? Im ersten Moment fällt einem auf, dass sich auf Spirituosenflaschen keine Hinweise dazu finden – weder E Nummern noch andere Kennzeichnungen.
Heißt das also, dass die Industrie ohne Aromen arbeitet? Im Gegenteil! So gut wie jeder tut es, ob klein oder groß. Der Grund hierfür liegt in der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung. Künstliche, naturidentische oder natürliche Aromen sind nicht deklarationspflichtig, wie es beispielsweise bei Farbstoffen üblich ist. Für den Hersteller liegen die Vorteile auf der Hand, wer zahlt schon freiwillig mehr in der Produktion, wenn es ohne Konsequenzen auch billiger geht?
Es gibt einen Grund dafür, weshalb es so viele neue Gins auf dem Markt gibt. Der Einstieg ist niedrig, genau wie für Liköre. Um Gin auf das Etikett schreiben zu dürfen, reichen Neutralalkohol, Wasser und Wacholderaroma.
Aromastoffen in Spirituosen: mangelnde Transparenz
Überprüft wird beim Gin lediglich, dass der Wacholdergeschmack im Vordergrund steht. Eine Entscheidung also, die recht subjektiv gefällt werden kann. Außerdem dürfen keine künstlichen Aromen verwendet werden. Naturidentische hingegen schon. Diese unterscheiden sich zu den künstlichen nur dahingehend, dass es ein naturidentisches Vorbild zu diesem Stoff gibt. Das Gewürz selbst aber sieht einen Aromastoff meist kein einziges Mal. Stattdessen spielen hier Bakterien, Schimmelpilze oder auch verschiedene Holzarten eine große Rolle.
Für einzelne Spirituosengattungen gibt es strengere Regeln, so dass auf die Verwendung von Aromastoffen verzichtet werden muss. Doch auch bei diesen Spirituosen fehlt eine Überprüfbarkeit. Am Ende gibt es schließlich auch noch das Zuckercouleur, mit dem man einer Spirituose beispielsweise schon mal mehr Fassoptik verleihen kann. Der normale Verbraucher kann den Unterschied kaum wahrnehmen.
Jeder Hersteller kann erzählen, was er möchte
Für den Endkunden sieht die Sache jetzt nicht so rosig aus. Gibt es denn überhaupt einen Vorteil für den Kunden? Doch, den gibt es, denn mit Hilfe von Aromastoffen lassen sich Produkte unabhängig von Ernteschwankungen oder saisonal unterschiedlichen Rohstoffen herstellen. Die Produktchargen werden somit alle geschmacklich annähernd gleich. Klingt erstmal gut, aber ist das nicht auch verstörend, dass niemand die Aromen deklarieren muss, obwohl es bei Nahrungsmitteln ganz selbstverständlich ist, aber ein Wacholderschnaps vielleicht nie Wacholder gesehen hat? Ist das am Ende nicht eine große Täuschung?
»Was zählt sind die Geschichten und die werden meistens am Schreibtisch geschrieben. «
Das Problem liegt darin, dass jeder Hersteller erzählen kann, was er möchte und die Transparenz für den Kunden verloren geht. „30 Botanicals werden fein mazeriert und mit viel Liebe in einer kleinen Manufaktur zu einem Gesamtkunstwerk vereint“ – so oder so ähnlich ruft es bei Verkostungsrunden und von jedem Messestand. Meine Erfahrung sagt, dass es in den allermeisten Fällen nicht stimmt und man ein reines Aromaprodukt aus einer großen Auftragsfertigung vorgesetzt bekommt. Die Unterscheidung ist kaum möglich und Regularien gibt es wenig, ebenso wenig wie Kontrollen.
Am Gaumen zeigt sich der Unterschied vor allem dadurch, dass Produkte flach und eindimensional schmecken. Vanillearoma und Vanilleschoten, das ist eben ein Riesenunterschied! Eine Schote hat Fette und Öle in sich, die am Gaumen bleiben und einen intensiven, langen Geschmack erzeugen. Auch die Geschmacksbreite einer Schote ist um ein vielfaches höher als die eines Aromastoffes. Dieses Phänomen gibt es bei den meisten natürlichen Rohstoffen. Sieht man mal über den Alkohol (der im Grunde ein Geschmacksverstärker ist) in einer Spirituose hinaus und achtet lediglich auf den Geschmack an sich, tut man sich bereits leichter, den Unterschied zu schmecken. Das Geschmackserlebnis, das echte natürliche Rohstoffe erzeugen, bleibt einzigartig.
» Auch die Presse im Spirituosenbereich spielt hier eine nicht minder entscheidende Rolle. Produkte werden unabhängig von Qualität hochgelobt, Preise werden verliehen. «
Den Trend zu natürlichen Zutaten auf Spirituosen übertragen
Aus Sicht der Industrie, sowie der meisten Hersteller, sind die Vorteile der einfacheren Herstellung so überwiegend, dass das Geschmackserlebnis in den Hintergrund rückt. Und man wird das ungute Gefühl nicht los, dass sich die Branche darin einig ist, dass das auch so sein soll. In Harmonie und Eintracht wird dieses Thema weitestgehend ignoriert und akzeptiert. Niemand hinterfragt, und man beglückwünscht sich lieber gegenseitig zu den extrem gelungenen Produkten mit guter Marge.
Auch die Presse im Spirituosenbereich spielt hier eine nicht minder entscheidende Rolle. Produkte werden unabhängig von Qualität hochgelobt, Preise werden verliehen (absurderweise so gut wie alle gegen Geld) und die Geschichten der Hersteller nicht hinterfragt.
Auch wenn ich eine klare Position gegen Aromastoffe habe, haben diese meiner Meinung nach auch ihre Berechtigung. Es darf und soll schließlich jeder seine Produkte nach den eigenen Vorstellungen herstellen. In der Massenproduktion sind Aromastoffe ja auch nicht mehr wegzudenken, weil nötig. Der Fehler liegt für mich vielmehr im System. Denn wer Aromastoffe benutzt, soll diese bitte auch angeben müssen, weil jeder das Recht haben sollte, ein Produkt zu kaufen, das er wirklich kaufen möchte. Mein Appell lautet daher: Achtet genauer auf Geschmack und Optik der Spirituosen und hinterfragt die Hersteller.
Mein Wunsch ist es, dass wir den Trend zu natürlichen Zutaten im Nahrungsmittelbereich auf die Spirituosen übertragen können. Ehrliche und natürliche Produkte schmecken besser und machen glücklicher!
Stefan Hofstetter ist Gründer der “Heiland” Likör-Manufaktur