Eines der wichtigsten Cocktailbücher seiner Zeit ist überhaupt kein Cocktailbuch. Dabei trägt es so einen schönen Titel: „When it’s Cocktail Time in Cuba“. 1928 erschienen, ist es vor allem ein kurzweiliger und schlauer Blick auf die damalige Gesellschaft der Karibikinsel.
Verdächtig poetisch ist also der Titel, und prompt wird auch enttäuscht, wer sich da möglichst viele Rezepte erhofft. Man erfährt in fachlicher Hinsicht im Grunde nur, dass man in Kuba auch schön saufen kann, und das ist nun für die meisten von uns keine große Neuigkeit.
Herausgebracht hat es 1928 der anglo-amerikanische Dramatiker und Journalist Basil Woon, und der ist kein Bartender, sondern in vielerlei Hinsicht der prototypische Gast, wie wir ihn zur Genüge kennen: nutzlos von vorne bis hinten. Zu nichts zu gebrauchen. Immerhin verschont er uns mit seinen Ansichten zu Gin.
When It’s Cocktail Time in Cuba handelt von Landschaft, Politik und Gesellschaft
Ganz so schlecht darf man den Herrn Woon natürlich nicht machen; schließlich war es nie sein Anspruch, der Mit- und Nachwelt irgendwelche Mixanleitungen zu übergeben. Dafür konnte er eines tatsächlich sehr gut: dem Leser ein Gefühl zu vermitteln, wie es denn so war, zur Cocktail Time in Cuba, damals in den 1920er Jahren, als in den USA die Prohibition wütete und die Insel zum Tummelplatz für alle möglichen Hasardeure, Abenteurer und Glücksritter wurde. Die versoffenen Faulpelze nicht zu vergessen.
Den Autor fasziniert die kubanische Freiheit, die im Grunde genommen besagt, dass man sich so ziemlich alles erlauben kann, solange man dem Polizeichef keine aufs Maul haut. Kategorie: zeitlose Lebensweisheiten.
Ansonsten geht es sehr viel um Landschaft, Politik und Gesellschaft, und nur ein Kapitel behandelt explizit das Trinken. Dennoch scheint das Mischgetränk der übergeordnete Stern zu sein, unter dem Woon seine Liebe zu Kuba erstrahlen lässt, die ihn offensichtlich sogar motivierte, das Buch im Selbstverlag herauszubringen – was man diesem leider auch ansieht: Das Papier hat die Anmutung von Vorkriegslöschpapier und wirkt, als hätte er es aus Kartoffelschalen und zerriebenen Aprikosenkernen selbst gebacken. Alles recht bröselig. Dieses Buch ist schon alleine deshalb eine Rarität, weil es zur Selbstauflösung neigt.
Die Mär von der Entstehung des Daiquiri
Wer aber vorsichtig genug blättert, der lernt die Orte und Personen kennen, die mittlerweile Legendenstatus erreicht haben: „Sloppy Joe’s“ war schon damals eine Touristenfalle, aber der große Erfolg kam erst, als der geschäftstüchtige Joe das „schmuddelig“, das ihm ein missgünstiger Journalist an den Vornamen geklebt hatte, für sich vereinnahmte, anstatt dagegen vorzugehen – ein sehr früher Beweis dafür, dass es keine schlechte Publicity gibt.
Auch die Entstehungsgeschichte des Daiquiri lernen wir in When It’s Cocktail Time in Cuba kennen: Jennings Cox ist Aufseher einer Gruppe Minenarbeiter, die sich jeden Morgen vor der Arbeit drei bis vier Stück davon hinter die Binde kippen – und irgendwann beschließen, den Drink nach ihrer Mine und der gleichnamigen Siedlung zu benennen. Sicherheitsbedenken? Ach woher. Der Daiquiri ist laut Autor nicht nur der beliebteste, sondern, wie so oft, natürlich auch der gesündeste aller Drinks.


Cocktail Time in Cuba heißt zu jener Zeit vor allem: Bacardi
So löste er den Planter’s Punch ab, der damals noch aus Rum, Limette, Grenadine und Soda bestanden hatte. Ebenfalls beliebt: die Mary Pickford aus frischer Ananas und Bacardi, zubereitet im La Florida, dem späteren El Floridita, und zwar vom nicht erst durch Ernest Hemingway geadelten Constantino, dessen Fähigkeiten am Brett wohl unübersehbar waren.
Überhaupt, Bacardi: Basil Woon lässt sich die Daiquiri-Geschichte von Facundo Bacardi bestätigen, dem Enkel der gleichnamigen Gründerlegende. Und erzählt noch so ein wenig mehr über den Rum, der in Kuba schnell die Importware aus Jamaika verdrängte und zum Maß aller Dinge wurde. Wahrscheinlich gleich, nachdem man damit den spanischen König Alfonso XIII von der Grippe kurieren konnte. Und es gibt auch noch die Geschichte zur Fledermaus auf dem Logo: Im Garten bei der Küche, in der Facundo der Erste seine Destille hatte, stand ein Baum, den Fledermäuse gerne zum Ruhen nutzten – und die sich dann an den süßen Vorstufen der Rum-Produktion gütlich taten. Schnell war das Küchendestillat als Fledermaus-Schnaps bekannt.
Basil Woon, Flaneur und Beobachter
Bacardi wurde schnell zu einem Gütesiegel, aber laut Basil Woon war es zu Zeiten der Prohibition (die nur ganz am Rande Erwähnung findet) auch bei den besten New Yorker Bartendern, die sich ihrer einzigartigen Bezugsquellen rühmten, nicht möglich, etwas anderes als gefälschte Ware zu bekommen.
Wer in Havana Bacardi verwendete, der schrieb das auch auf die Karte. Die Konkurrenz war schließlich groß – Basil Woon zählt 7.000 Saloons, und jeder konnte sich sein Stammlokal auswählen und bei einem guten Getränk die schönen Frauen betrachten, die vorbeiflanierten und doch unerreichbar blieben … aber das mag vielleicht auch ein persönliches Problem des Basil Woon gewesen sein, der wohl ein wenig so aussah, wie er hieß.
Eine Sazerac Bar gab’s für den Freund der Klassiker aus New Orleans. Eine Paris Bar. Der Winter Garden hat einen Betreiber, der sich Sanitary George nennt, um sich von Sloppy Joe abzuheben. Und das Donovan’s ist in einer Hinsicht die echteste American Bar der Insel: Als die Prohibition kam, baute der Besitzer kurzerhand seinen kompletten Laden auseinander und verschiffte ihn von Newark, New Jersey, nach Kuba.
Daiquiri
Daiquiri - Weißer Rum und kubanische Sonne strahlen in diesem klassischen Cocktail um die Wette...
Cocktail Time in Cuba hieß darüber hinaus: Todesgefahr für Bartender
Die schönste Geschichte des Buchs ist jedoch die des Hotels Camagüey, das 1905 für die Cuba Railroad Company gegründet wurde. Bartendern, denen diese Geschichte erzählt wird, werden zuverlässig die Augen feucht vor Rührung.
Das Hotel war ursprünglich gedacht für die Angestellten der Eisenbahn, denn weit und breit gab es ansonsten wenig zu bieten. Auch eine Bar gehörte zum Hotel, und das freute auch die ansonsten nicht mit Freizeitangeboten überschütteten Nachbarn, meistens Farmer. Ihre Freude konnten sie allerdings kaum zügeln und ritten auf ihren Pferden in die Bar, um den Daiquiri im Sattel genießen zu können. Wenn sich dann aber ein Barender über dieses Verhalten beschwerte, dann wurde der auch gerne einfach mal erschossen.
Nun war es auch damals schon schwierig, gutes Personal zu finden, selbst wenn einem die Mitarbeiter nicht alle Naselang abgeknallt wurden, und so drohte der Besitzer, William van Horne, die Bar eben zu schließen, falls das mit den Todesfällen unter der Belegschaft nicht aufhören würde. Die Drohung fruchtete, und die Gäste kontrollierten ihre Schießwut.
Goldene Zeiten
Schließlich wurde in den 1920ern José Fernandez Chefbartender, und seine Qualitäten wurden weit und breit gerühmt. Bester Daiquiri überhaupt. Er war nun nicht gerade der Typ, der sich viel von seinen Gästen gefallen ließ, und so kam es tatsächlich zweimal vor, dass seinerseits er einen Gast niederschoss. Das war nicht nett, aber, mal ehrlich, ziemlich viele Gäste würde auch heute so eine Kugel nicht ganz unverdient treffen, und die örtlichen Honoratioren hatten überhaupt keine Lust, wegen so ein bisschen Mord auf ihren besten Barkeeper verzichten zu müssen, weshalb sie bei der zuständigen Gerichtsbarkeit intervenierten.
Welche viel Verständnis zeigte, vielleicht, weil auch Polizisten und Richter von Durst geplagte Menschen sind, und so wurde Fernandez beide Male ohne Prozess wieder freigelassen.
Goldene Zeiten.