Wenn die Erdnussschale mit Nori und Chili gewürzt wurde, ist man definitiv in keiner normalen Cocktailbar. Und in der Tat versuchen Wolfgang Kriwanec und Noel Pusch in allen Details eine neue Art der Trinkkultur in Wien zu etablieren. Der Standort dafür ist bereits bestens bewährt. Vor 12 Jahren startete das„Okra, das in der Leopoldstadt Izakaya-Küche populär machen wollte. Kriwanec, durch seine Familie schwerst japanisch sozialisiert, verwandelte die ehemalige Molkerei-Verkaufsstelle der 1970er Jahre in einen Geheimtipp nahe dem Karmelitermarkt.
Sake „by the glass“ als Einstieg
Damit nicht genug, wurde er auch zum Gründer der Wiener Sake Week, die sich in den letzten Jahren prächtig entwickelte – und in diesem Jahr ihren fünften Geburtstag begeht. Parallel stieg auch der Umsatz mit Sake in Österreich gewaltig an: um 800% in nur sieben Jahren (siehe MIXOLOGY-Ausgabe 2/2024).
Am Ende siegte auch Kriwanec‘ Leidenschaft für das exotische Getränk. Er verteilte die Gewichte in seinem Lokal kurzerhand neu. Der Restaurantbetrieb inklusive fixem Team wurde radikal zurückgefahren, das Lokalschild knallrot umgefärbt: Die Okra Sake Bar war geboren. Ihr wichtigstes Asset sind 40 glasweise ausgeschenkte Versionen des Exoten aus Fernost. „Je nach Zählung spricht man in Japan von 1.300 lizensierten Sake-Brauereien“, relativiert Pusch diese Fülle. Er ist der zweite zertifizierte Sake-Sommelier, von denen immer einer im Lokal anzutreffen ist. In der internen Aufteilung könnte man ihn aber auch den „Beverage Director“ nennen. Denn der in Wien bereits für seine Japan-Gerichte abseits von Sushi-Standards bekannte Kriwanec „schupft“ weiter die Küche. Was für ihn im entspannteren neuen Bar-Setting „eine kleine Karte“ darstellt, weist aber immer noch 16 Optionen auf. Der Fokus liegt dabei auf den Snacks, die man „Otsumas“ nennt.


Von London in die Leopoldstadt
Da gibt es etwa den für Stammgäste unerlässlichen geflämmten Lachs oder Aubergine mit Sesam-Miso, als Gag natürlich auch das japanische Wiener Schnitzel Tonkatsu im Panko-Mantel. Für Gourmets des Flüssigen wird es bei Noel Pusch jedoch nicht minder interessant. Der Mann mit dem „Sake Social Club“-Shirt gehörte nämlich nicht nur zur Mannschaft des Zuma in Dubai und Abu Dhabi, wo er Teil des Eröffnungsteams war. Auch das Tokimeitē in London hat der Sake Sommelier miteröffnet. Der dreistöckige Japaner in Mayfair gilt nach wie vor als einer der besten Außenposten des Inselreichs in Europa.
Entsprechend schnell fachsimpelt man angesichts der Pikanz und Süße eines Sake wie „Hanatomoe NatureXNature“ über mögliche Pairings. „Zum Sake gibt es auch immer etwas zu essen“, erläutert Kriwanec dazu den japanischen Hausbrauch. Er lässt den Worten Taten auch folgen: Sein geschmorter Schweinebauch mit „Five Spice“ nimmt die Noten des „Reisweins“ aus der Präfektur Nara tatsächlich kongenial auf. Solche Kombinationen schweben dem Duo auch am Event-Tag vor, den in Wien 2 ab sofort der Samstag darstellt. „Da kann man seine private Verkostung buchen“, praktischerweise gleich mit dem Essen.
Polierraten muss man nicht kennen
Im regulären Betrieb ist ein niedrigschwelliger Zugang zu Sake aber ebenso wichtig. Keiner soll sich in den Zungenbrechern wie „Taruzake Honjozo“ verheddern oder sich als Polierraten-Nackerbatzerl outen müssen. Dafür hat man die Karte in Geschmacksrichtungen bzw. -Stile eingeteilt: Fruchtige Optionen (ab 4,5 Euro) gibt es dann mit Kirschblüten- oder Yuzu-Aroma. Eine andere Palette stellen die „eleganten Sake“ dar. Möglichst schnell soll auch der Laie etwas finden, zu dem es ihn hinrei(s)st. Für Fortgeschrittene im Reis-Kosmos gibt es ohnehin Raritäten wie den „Farmhouse Sake“ der Brauerei Niida aus der Präfektur Fukushima – hier kommt Reis aus eigenem Anbau zum Einsatz. „Das ist selten, die meisten Hersteller kaufen den Reis zu“, expliziert Pusch. Geschieht das innerhalb der eigenen Präfektur, darf der Sake als geographische Herkunft auch ihren Namen tragen. Was von den sechs Hektar der Landwirtschaft von „Niida“ kommt, ist in der Tat eine andere Liga: Kräuternoten von Liebstöckel und Majoran werden vom Umami-reichen Geschmack (wie helle Sojasauce) gefolgt.
Wer solcherart seinen persönlichen Sake-Geschmack gefunden hat, kann die 720 Milliliter-Flaschen auch mitnehmen. Sie stehen wie die traditionellen viereckigen Sake-Becher (masu) aus Zedernholz im Okra-Shop bereit. Verkostet wird vor Ort allerdings nur selten aus ihnen. „Historisch hat man sie verwendet, um ruppige Sakes zu maskieren und Off-Flavours zu vermindern“, kommen die Sommeliers ihrem Bildungsauftrag auch beim Glas nach. Und damit es spannend bleibt, wechselt das Sake-Angebot auch. Denn im Zweifel macht auch eine einzelne Flasche Spaß, wollen sich die beiden Sake Sommeliers keinem Bestelldiktat unterwerfen.
Mizuwari, Whisky und Shōchū-Negroni
Doch Wiens erste Sake-Bar zu eröffnen, reicht Pusch und Kriwanec nicht. In ihrer ganzheitlichen Japan-Liebe wird auch dem Whisky aus Nippon ein beachtlicher Raum eingeräumt. Dass es den „Okra Negroni“ (11 Euro) auf Basis von Shōchū auf der Karte gibt, stößt in eine weitere Richtung vor. Denn Cocktails sind die nächste Ausbaustufe im Zweiten Bezirk. Eine Reihe von Highballs gibt es bereits. Japanischen „G&T“ etwa. Und natürlich kann man den klassischen Mizuwari (mit Toki-Whisky; 11 Euro) genießen. Oder einen „Yuzu-Spritz“ mit Sparkling Sake orden. Doch die acht aktuellen Signature Cocktails abseits von puren Spirituosen aus Fernost reichen Wolfgang Kriwanec nicht. „Da wird es in Zukunft sicher noch Kooperationen geben“, will man den Eröffnungsrummel erst einmal – Achtung, Wortwitz! – „sake-n lassen“.
Konkret sind es zwei Bartenderinnen, an die man bei den Kreationen in spe denkt: Pauline „Polly“ Scholz und Kriwanec Beinahe-Nachbarin in der Großen Pfarrgasse. Denn mit Sigrid Schot und ihrer Hammond Bar pflegt man schon lange gute Beziehungen. Und auch dort ist man aktuell top motiviert. Laura Peez als neue Head Bartenderin verstärkte die Frauenpower. Doch ist eine andere Geschichte aus der immer lässigeren Leopoldstadt.